Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Verwertbarkeit eines nach § 106 SGG bzw. nach § 109 SGG in einem Verfahren über die Bewilligung von Erwerbsminderungsrente eingeholten medizinischen Sachverständigengutachtens

 

Orientierungssatz

1. Ein in einem Rechtstreit über die Bewilligung von Erwerbsminderungsrente von dem Hausarzt des Versicherten im gerichtlichen Verfahren nach § 109 SGG erstelltes Gutachten ist nicht verwertbar, wenn der Hausarzt den Rentenantrag initiiert und sich damit bereits in seiner Beurteilung gebunden hat. Dies gilt u. a. dann, wenn dieser nicht vollständig zwischen seiner Stellung als Hausarzt des Klägers und derjenigen eines unabhängigen Gutachters differenziert.

2. Die Hinzuziehung eines Assistenzarztes durch den nach § 106 SGG ernannten Gutachter stellt keinen Verstoß gegen § 118 Abs. 1 S. 1 SGG i. V. m. § 407a Abs. 3 ZPO dar, wenn dessen Name und die Form seiner Mitarbeit in dem Gutachten angegeben sind. Die wirtschaftliche Auswertung muss in Eigenverantwortung des gerichtlichen Sachverständigen erfolgt sein.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 10.05.2021; Aktenzeichen B 13 R 144/20 B)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über eine Rente wegen Erwerbsminderung nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI).

Der 1966 geborene Kläger durchlief erfolgreich die Ausbildung zum Baumaler und stand bis März 2013 in mehreren versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen im erlernten Beruf, die sich seit Oktober 1999 mit Zeiten der Arbeitslosigkeit (1. Oktober 1999 bis 9. April 2000, 3. Juni 2001 bis 31. Januar 2002, 1. Dezember 2002 bis 20. Juli 2003, 20. August bis 19. Oktober 2003, 18. November 2003 bis 9. Januar 2005, 19. Januar bis 28. Februar 2005, 1. Mai 2005 bis 31. Oktober 2006, 1. April bis 23. September 2007, 31. Januar bis 30. April 2008, 18. November 2008 bis 17. Mai 2009, 18. Dezember 2010 bis 11. Mai 2011, 24. Dezember 2011 bis 20. Januar 2012, 1. November 2012 bis 10. Februar 2013 und 1. April bis 20. Juni 2013) und geringfügig nicht versicherungspflichtig gemeldeten Beschäftigungsverhältnissen abwechselten. Der Kläger bezieht - nach dem Ende des Bezuges von Arbeitslosengeld am 20. Juni 2013 - seit dem 1. Juli 2013 (nicht durchgehend) Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II). In seinem Versicherungsverlauf vom 1. Juli 2019 sind für die Zeit bis zum 31. Dezember 1983 lediglich 28 Monate mit für die Wartezeit relevanten Zeiten und für März 2007, April 2008, Januar bis März 2010, Februar 2012 und April 2015 bis Januar 2018 keine Zeiten gespeichert.

Das Landesverwaltungsamt stellte mit Bescheid vom 31. Januar 2018 bei dem Kläger seit dem 13. September 2017 einen Grad der Behinderung (GdB) von 30 fest und lehnte die Anerkennung des Merkzeichens „G“ ab. Eine Neufeststellung lehnte das Landesverwaltungsamt mit Bescheid vom 26. Juni 2019 ab.

Der Kläger stellte am 12. Juli 2013 bei der Beklagten einen Antrag auf Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung, den die Beklagte mit der Begründung ablehnte, der Kläger könne noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein (Bescheid vom 12. Februar 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. August 2014).

Mit seiner am 19. August 2014 vor dem Sozialgericht Dessau-Roßlau erhobenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt. Er hat sich auf die Bescheinigung seiner Hausärztin L vom 17. September 2014 gestützt, in der ihm - dem Kläger - bescheinigt wird, auf Grund von M51.2 (ICD-10-Diagnose: sonstige Bandscheibenverlagerung) nicht mehr in der Lage zu sein, länger als drei Stunden täglich zu arbeiten, „EU sollte beantragt werden“.

Das Sozialgericht hat zunächst durch Einholung von Befundberichten ermittelt. Der Facharzt für Orthopädie W / Fachärztin für Orthopädie R sind in ihrem Befundbericht vom 1. Dezember 2014 zu der Einschätzung gelangt, aus orthopädischer Sicht empfehle sich für den Kläger eine leichte körperliche Arbeit mit abwechselnd gehenden, stehenden und sitzenden Tätigkeiten für maximal sechs Stunden, ohne schweres Heben und Tragen von Lasten, Arbeiten in Zwangshaltungen, Überkopfarbeiten und Arbeiten auf Leitern und Gerüsten. Ein sechsstündiges Leistungsvermögen des Klägers für leichte Arbeiten mit qualitativen Einschränkungen haben auch die Chefärztin der Neurologischen Klinik des Klinikums D  S2 und der Leitende Oberarzt S1 in ihrem Befundbericht vom 2. Dezember 2014 mitgeteilt. L hat in ihrem Befundbericht vom 17. Februar 2015 ihre Auffassung wiederholt, das seit März 2014 bestehende klinische Krankheitsbild biete auch mit Einschränkungen keine Einsatzmöglichkeit auf dem „freien Arbeitsmarkt“. Sie habe mit Folgebescheinigung bei dem Kläger eine Arbeitsunfähigkeit seit dem 6. März 2014 festgestellt. Seine Gehstrecke...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge