Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. stationäre Unterbringung. Klage auf höhere Leistungen. Bindung an eine bestehende Leistungs- und Vergütungsvereinbarung

 

Leitsatz (amtlich)

Regelungen eines Mehrbedarfs können nicht zu Lasten eines Hilfebedürftigen vereinbart werden, um ein von Seiten des Einrichtungsträgers als defizitär empfundenes Ergebnis von Vergütungsvereinbarungen auszugleichen. Der Gesetzgeber hat das Problem der Berechnung eines individuellen Hilfebedarfs dahin gehend zu lösen versucht, dass vor der Feststellung eines solchen Bedarfs nach § 75 Abs 4 S 2 SGB XII ein "Leistungsangebot" vorzulegen ist, "das die Voraussetzungen des § 76 SGB XII erfüllt". Gemeint ist damit auch die Angabe der konkreten Vergütung.

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 17. August 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der beklagte überörtliche Sozialhilfeträger Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) für die Betreuung des Klägers in dem von der Beigeladenen getragenen Wohnheim "Suchttherapiezentrum Schloss R." (im Folgenden: Wohnheim) "bis auf Weiteres in Höhe von 12,35 EUR ab 8. Juli 2010" zu gewähren hat.

Der am 1972 geborene Kläger war bis Dezember 2002 versicherungspflichtig beschäftigt und danach arbeitslos. Seine Eltern sind verstorben, sein Sohn ist im September 2001 geboren worden. Er wohnte bis zum 13. Dezember 2009 in einer eigenen Wohnung in S., das im Zuständigkeitsbereich des A.kreises S. (im Folgenden: Landkreis) als örtlichem Sozialhilfeträger liegt. Der Kläger bezog bis zum 30. April 2010 Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II). Der zuständige Rentenversicherungsträger bewilligte dem Kläger ab dem 1. Juli 2010 Rente wegen voller Erwerbsminderung, mit Bescheid vom 21. Januar 2015 schließlich als Dauerrente.

Bei dem Kläger ist seit dem 8. Februar 2010 ein Grad der Behinderung von 80 mit den Merkzeichen "G" und "B" anerkannt. Mit Beschlüssen vom 5. Februar und 24. Juni 2010 sowie vom 9. Februar 2012 ordnete das zuständige Amtsgericht die gesetzliche Betreuung des Klägers in den Aufgabenkreisen Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten an.

Nach einem Unfall mit schweren Verbrennungen der rechten Hand unter Alkoholeinfluss wurde der Kläger auf Grund seiner Alkoholabhängigkeit vom Gammatyp nach Jellinek vom 14. Dezember 2009 bis zum 5. Februar 2010 im Fachkrankenhaus U. behandelt. Der an den Landkreis gerichteten ärztlichen Stellungnahme der Einrichtung vom 4. Februar 2010 ist zu entnehmen, der Kläger habe bislang keine ständige Alkoholabstinenz erreicht. Er sei stark pflegebedürftig im Alltag, einschließlich der Mahlzeiten und Körperpflege. Auf Grund der hirnorganischen Veränderungen und der körperlichen Einschränkungen sei der Kläger mit einer selbstständigen Lebensführung und -planung überfordert. Die Unterbringung in einem Wohnheim für alkoholkranke Menschen werde dringend befürwortet. In der amtsärztlichen Stellungnahme des Gesundheitsamtes des Landkreises S. vom 12. März 2010 wird eine wesentliche seelische Behinderung des Klägers im Sinne des SGB XII durch Sucht bestätigt. Er sei in seiner Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft massiv eingeschränkt. Der Hilfebedarf sei besonders in den Bereichen lebenspraktische Anleitung, psychosoziale und pflegerische Hilfen sowie hinsichtlich der Freizeitgestaltung und sozialen Kontakte so groß, dass eine Aufnahme des Klägers in eine stationäre Einrichtung notwendig sei, um den Hilfebedarf adäquat zu kompensieren. Aus sozialmedizinischer Sicht werde die Aufnahme in eine stationäre Einrichtung für Menschen mit seelischer Behinderung infolge Sucht empfohlen.

Der Landkreis bewilligte dem Kläger im Namen des Beklagten mit Bescheid vom 20. April 2010 Leistungen der Hilfe zur Pflege nach § 61 SGB XII für die Kurzzeitpflege vom 5. Februar bis zum 1. März 2010 im Zentrum für Soziale Psychiatrie S ...

Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) stellte in seinem Gutachten vom 27. April 2010 eine Pflegebedürftigkeit des Klägers nach der Pflegestufe I ab Februar 2010 fest. Die Alltagskompetenz im Sinne des § 45a Elftes Buch Sozialgesetzbuch (Soziale Pflegeversicherung - SGB XI) sei in erhöhtem Maße eingeschränkt. Es bestehe ein täglicher Zeitaufwand für Grundpflege von 66 Minuten und Hauswirtschaft von 45 Minuten. Es seien eine Tagestruktur und eine vollstationäre Pflege rund um die Uhr zu nicht planbaren Zeiten erforderlich. Krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen würden nicht erbracht.

Das Wohnheim ist eine Einrichtung für seelisch behinderte Menschen infolge Sucht mit 54 Heimplätzen, davon 30 Plätze im Schloss mit zwei Wohnbereichen. Der Wohnbereich im Erdgeschoss des Schlosses war...

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