Entscheidungsstichwort (Thema)
Angelegenheiten nach dem SGB XII. Zum Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 15 SGB IX für selbstbeschaffte Teilhabeleistungen nach § 55 Abs 2 Nr 6 SGB IX. Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft. Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten. Erstattung selbstbeschaffter Leistungen. Bestehen eines zivilrechtlich durchsetzbaren Anspruchs gegen den Leistungsberechtigten. Umfang des Erstattungsanspruchs. Orientierung am Sachleistungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
1. Nach § 53 Abs 4 Satz 1 SGB XII gelten für die Leistungen der Teilhabe die Vorschriften des SGB IX, soweit sich aus dem SGB XII und den auf Grund dieses Buches erlassenen Rechtsverordnungen nichts anderes ergibt. Leistungen der Teilhabe sind nach § 29 Abs 1 Nr 3 SGB I die "Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft", die in dieser Regelung nicht abschließend aufgeführt sind. Dazu gehören insbesondere auch die Hilfen zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten (§ 55 Abs 2 Nr 6 SGB IX).
2. Damit gilt für diese Hilfen ua § 15 SGB IX. Gemäß § 15 Abs 1 Satz 4 und 5 SGB IX besteht eine Erstattungs- bzw. Freistellungspflicht des Sozialhilfeträgers auch, wenn er eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen kann oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat.
3. Da Voraussetzung einer Kostenerstattungspflicht des Beklagten insbesondere die zivilrechtliche Durchsetzbarkeit der dieser zugrunde liegenden Ansprüche Dritter ist, bedarf es ordnungsgemäßer Rechnungen und Zahlungsnachweise, damit zB die mögliche Verjährung von Forderungen ausgeschlossen werden kann.
4. Ein Kostenerstattungs- oder Freistellungsanspruch des Leistungsberechtigten kann nicht weiter reichen als der entsprechende Sachleistungsanspruch.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 19. April 2011 geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin die Hälfte ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten noch über höhere Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) für die Betreuung der Klägerin in dem Wohnheim in Trägerschaft der Beigeladenen ab dem 1. Dezember 2007.
Die am ... 1978 geborene Klägerin leidet zumindest seit ihrem 13. Lebensjahr unter Affekten gegen sich selbst nach massiven sexuellen Übergriffen ihr und ihren leiblichen Schwestern gegenüber. Sie befand sich auch nach ihrer Volljährigkeit häufig in stationärer Krankenhausbehandlung auf Grund einer schweren Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ mit autoaggressiven Tendenzen bei intellektueller Minderbegabung. Es wurde für die Klägerin ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 anerkannt. Sie lebt seit März 1999 in stationären Einrichtungen, seit dem 31. Oktober 2004 im Wohnheim St. E. für Menschen mit seelischer und seelischmehrfacher Behinderung in C. (Saale) (im Folgenden: Wohnheim), dessen Trägerin die Beigeladene ist.
Zu dem Rahmenvertrag gemäß § 79 SGB XII für das Land Sachsen-Anhalt vom 27. August 2007 (im Folgenden: Rahmenvertrag) wird in der Anlage H der Personalschlüssel für Einrichtungen der Alten- und Behindertenhilfe geregelt. Danach ist für Wohnheime für Menschen mit seelischen Behinderungen ein Personalschlüssel höchstens von 1:6 vorgesehen (Nr. 2 Buchst. a zu 2.). Der für den Leistungsberechtigten günstigste Personalschlüssel von 1:1,5 ergibt sich für stationäre Langzeiteinrichtungen für geistig und mehrfach Behinderte bei schwerer und schwerster Pflege (Nr. 3 zu 2.2.). Nach den zwischen der Beigeladenen und dem Beklagten geschlossenen Vereinbarungen nach § 75 Abs. 3 SGB XII galt eine Vergütung pro Leistungstag für die Betreuung im Wohnheim für Menschen mit seelischen Behinderungen (Leistungstyp 2b) vom 1. April bis zum 31. Dezember 2007 in Höhe von insgesamt 49,19 EUR/Leistungstag - einschließlich 4,45 EUR Verzehrgeld und 4,81 EUR Investitionsbetrag - sowie ab dem 1. Januar 2008 in Höhe von insgesamt 49,04 EUR/Leistungstag - einschließlich 4,45 EUR Verzehrgeld und 4,81 EUR Investitionsbetrag - (Vereinbarung vom 30. März 2007). Mit Vereinbarung vom 28. Dezember 2007 wurde die Vergütung ab dem 1. Januar 2008 auf 50,01 EUR angehoben.
Der Landkreis B, der zum 1. Juli 2007 im S.-landkreis (im Folgenden: Landkreis) aufgegangen ist, bewilligte der Klägerin auch nach ihrem Umzug in das Wohnheim in C. Leistungen nach den §§ 39, 40 Abs. 1 Nr. 8 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) i.V.m. § 55 Abs. 2 Nr. 6 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - SGB IX) in Form der Hilfe zu selbstbestimmtem Leben in betreuten Wohnmöglichkeiten. Ab dem 1. Januar 2005 wurden die Leistungen nach den Regelungen des SGB XII, nun im Namen des Beklagten als überörtlichem Sozialhilfeträger, weitergewährt. Die laufenden Leistungen setzen sich aus der Gru...