Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Versicherungs- und Beitragspflicht. Studierende der Humanmedizin im Praktischen Jahr. unfallversicherungsrechtlicher Status. keine abhängige Beschäftigung
Leitsatz (amtlich)
Im Praktischen Jahr befindliche Studierende der Humanmedizin stehen nicht iS von § 7 Abs 1 S 1 SGB IV in einer abhängigen Beschäftigung und sind deshalb nicht gemäß § 2 Abs 1 Nr 1 SGB VII versicherungs- und beitragspflichtig.
Orientierungssatz
Dass der Gesetzgeber als Reaktion auf das Urteil des BSG vom 1.12.2009 - B 12 R 4/08 R = BSGE 105, 56 = SozR 4-2400 § 7 Nr 11 durch das Vierte Gesetz zur Änderung des SGB 4 und anderer Gesetze vom 22.12.2011 (juris: SGB4ÄndG 4) = BGBl I 2011, 3057 in den §§ 25 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 3, 5 Abs 4a S 1 Nr 2 SGB 5 und in § 1 S 5 Nr 2 SGB 6 für Teilnehmer dualer Studiengänge in diesen Zweigen die Versicherungspflicht begründet hat, besagt nichts für die gesetzliche Unfallversicherung. Deren Regelungen sollten unberührt bleiben (so ausdrücklich BT-Drs 17/6764, S 19), womit auch die Praxisphasen Teil eines dualen Studiums sind und nicht § 7 Abs 2 SGB 4 unterliegen.
Normenkette
Richtlinie 2005/36/EG Art. 24 Abs. 2 S. 1; SGB IV § 7 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 14 Abs. 1; SGB VII § 2 Abs. 1 Nrn. 1, 8 Buchst. c, Abs. 2, § 8 Abs. 2 Nr. 1, § 150 Abs. 1 S. 1, § 185 Abs. 1; SGB V § 5 Abs. 4a S. 1 Nr. 2; SGB III § 25 Abs. 1 S. 2; SGB VI § 1 S. 5 Nr. 2; ÄApprO § 1 Abs. 1a, 2 S. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 1 Sätze 1-2, 6-7, Abs. 2a Sätze 1-2, Abs. 4 Sätze 3-4, 8, Abs. 7, §§ 8, 10 Abs. 4 S. 1 Nr. 3 Buchst. c, § 13 Abs. 1, § Abs. 5 Abs. 1 S. 5, § Abs. 2; BBiG § 1 Abs. 1, 3, § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 2 Nr. 1; BAföG § 13 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2; HMG LSA § 5 Abs. 1 S. 3; SGG § 54 Abs. 2 S. 1, § 157; VwVfG § 4 Abs. 2 Nr. 2, § 9
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 19. September 2017 und der Bescheid der Beklagten vom 20. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. September 2015 sowie der Bescheid vom 29. Februar 2016 werden aufgehoben, soweit Studierende im Praktischen Jahr der Humanmedizin einbezogen sind.
Die Beklagte trägt, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die Verfahrenskosten beider Rechtszüge.
Die Revision wird zugelassen.
Der Gegenstandswert des Klageverfahrens wird auf 28.534,00 € und derjenige des Berufungsverfahrens auf 5.992,14 € festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist bezogen auf das Jahr 2015, ob die sich bei der Klägerin im Praktischen Jahr (PJ) befindlichen Studierenden der Humanmedizin als Beschäftigte versichert sind und damit gegenüber der Beklagten der Beitragspflicht unterliegen.
Mit Schreiben vom 10. Februar 2014 teilte die Klägerin der Beklagten mit, im Jahr 2013 seien bei ihr 1.917 Personen ganzjährig in Vollzeit, 523 in Teilzeit (= 373 Vollbeschäftigungseinheiten) und 441 Personen (= 231 Vollbeschäftigungseinheiten) zeitweilig tätig gewesen, womit insgesamt 2.521 Vollbeschäftigungseinheiten resultierten. Mit Bescheid vom 16. Mai 2014 setzte die Beklagte den Beitrag für das Jahr 2014 daraufhin auf 251.621,01 € fest.
Am 19. März 2014 beschloss der Ausschuss Rechtsfragen der Geschäftsführerkonferenz des DGUV eine Änderung der „Leitlinie Bildungsmaßnahmen“ dahin, dass Versicherungsschutz für PJ-Studierende über das Praktikumsunternehmen bestehe. Ab dem 1. April 2013 sei - gemäß § 3 Abs. 2 Satz 5 Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO) - eine Ableistung des PJ auch an einer anderen Universität möglich. Die Fakultäten hätten den DGUV um Klärung gebeten. In ihrem Schreiben an den Medizinischen Fakultätentag (MFT) vom 24. April 2013 hatte Rechtsanwältin Dr. R. im Ergebnis die Ansicht vertreten, die Tätigkeit der PJ-Studierenden sei dem jeweiligen Lehrkrankenhaus zuzuordnen. Der Studierende werde wie ein Beschäftigter in den Krankenhausbetrieb eingegliedert. Nur das Krankenhaus könne im Übrigen Maßnahmen der Unfallverhütung ergreifen. Zwar sei durch Art. 24 Abs. 2 Satz 1 der Richtlinie 2005/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anerkennung von Berufsqualifikationen vom 7. September 2005 (ABl. L 255, S. 22) vorgegeben, dass die Universität die Verantwortung für die Ausbildung trage. Das Lehrkrankenhaus müsse das Logbuch der jeweiligen Vertragsuniversität einhalten, was ebenfalls dafür spreche, dass das PJ in deren organisatorischem Verantwortungsbereich liege. Leiste der Studierende das PJ nicht an der Heimatuniversität, befinde sich das Lehrkrankenhaus aber weder im räumlichen noch vertraglichen Einflussbereich der Heimatuniversität, mit der den Studierenden nur die Immatrikulation verbinde. Aus § 3 Abs. 4 Satz 3 ÄAppO, wonach die PJ-Studierenden entsprechend ihrem Ausbildungsstand unter Anleitung, Aufsicht und Verantwortung des ausbildenden Arztes die ihnen zugewiesenen ärztlichen Verrichtungen durchführen sollen, lasse sich eine Weisungsbefugnis des Ausbildungsarztes ableiten.
Unter dem 10. Februar 2015 teilte die Klägerin der Beklagten mit, im Jahr 2014 seien bei ihr 1.872 Vollzeitbeschäftigte, 545 Te...