Rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzgeld. Antragsfrist. Nachfrist. Zurechenbarkeit des Vertreterhandelns. Umfang der Anwaltsmandats. Gebühren für Folgeverfahren
Leitsatz (amtlich)
Der Arbeitnehmer hat die Frist für den Insolvenzantrag ohne Verschulden versäumt, wenn er sich auf die Auskunft eines Rechtsanwalts verlässt, den er nicht mit der Wahrnehmung seiner Interessen vertraut hat.
Ob das Mandat zur Durchsetzung arbeitsrechtlicher Ansprüche zugleich Pflichten im Zusammenhang mit dem Insolvenzvertrag begründet, hängt vom Umfang des anwaltlichen Mandats ab.
Bei der Auslegung des Anwaltsvertrages kann zu berücksichtigen sein, inwieweit für einzelne Verfahren gesonderte Gebühren anfallen.
Der Auftrag, einen arbeitsrechtlichen Anspruch im Insolvenzverfahren durchzusetzen, umfasst regelmäßig auch die Verpflichtung, den Arbeitnehmer über die Voraussetzungen eines Insolvenzgeldanspruchs zu informieren.
Normenkette
SGB III § 183 Abs. 1, § 324 Abs. 3 Sätze 1-2; SGB X § 27 Abs. 1 S. 2; BRAGO §§ 37, 57, 72-73, 75
Verfahrensgang
SG Halle (Saale) (Urteil vom 08.05.2003; Aktenzeichen S 9 AL 605/01) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 8. Mai 2003 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob dem Kläger Insolvenzgeld zusteht.
Der am … 1958 geborene Kläger war bis zum 1. Januar 2001 bei der Firma P. & Co. GmbH in K. als Maurer mit einem Stundenlohn von 24 DM beschäftigt. Für den abgerechneten Monat Dezember 2000 hat der Kläger keinen Lohn erhalten.
Er beauftragte am 26. Februar 2001 die Rechtsanwälte Dr. B. & Partner. In der Vollmacht lautet es:
„(…) wird hiermit in Sachen B., R. ./. P. & Co. GmbH wegen Arbeitslohn Vollmacht erteilt (…). Die Vollmacht gilt für alle Instanzen und erstreckt sich auch auf Neben- und Folgeverfahren aller Art (z.B. Arrest und einstweilige Verfügung, Kostenfestsetzungs-, Zwangsvollstreckungs, Interventions-, Zwangsversteigerungs-, Zwangsverwaltungs- und Hinterlegungsverfahren sowie Konkurs- und Vergleichsverfahren über das Vermögen des Gegners). (…)”
Der Prozessbevollmächtigte erwirkte beim Arbeitsgericht Ulm – Kammern Ravensburg – … – am 28. März 2001 ein inzwischen rechtskräftiges Versäumnisurteil über den Nettolohn für den Monat Dezember 2000 in Höhe von 2.633,72 DM nebst Zinsen.
Am 11. Juli 2001 wurde über das Vermögen der P. & Co. GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und Rechtsanwalt D. als Insolvenzverwalter eingesetzt.
Rechtsanwalt I. … von der Kanzlei Dr. B. & Partner übersandte dem Kläger am 4. September 2001 folgendes Schreiben:
„In Ihrer Angelegenheit gegen P. & Co. GmbH teilt das Amtsgericht Wangen mit, dass mit Beschluss des Amtsgerichts Ravensburg vom 11.07.2001 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. & Co. GmbH eröffnet wurde. Bitte wenden Sie sich an ihr Amtsgericht und beantragen Insolvenzgeld. Dies sollten Sie bis zum 11.10.2001 (Ausschlussfrist) erledigt haben.”
Der Kläger stellte am 13. September 2001 einen Antrag auf Insolvenzgeld bei der Beklagten. Er machte keine konkrete Summe geltend. Auf den Hinweis der Beklagten, dass die Antragsfrist versäumt sei, antwortete der Kläger, dass er von seinem Anwalt falsch informiert worden sei. Er sei zunächst beim Amtsgericht gewesen, dort habe man ihn an das Arbeitsamt verwiesen. Also sei er auf schnellsten Wege dahin gefahren und habe sich den Antrag (am 13. September 2001) aushändigen lassen.
Die Beklagte hat vorsorglich 5.000 DM für Insolvenzgeld für den Kläger beim Insolvenzverwalter zur Eintragung in der Tabelle angemeldet.
Mit Bescheid vom 2. Oktober 2001 lehnte die Beklagten den Antrag des Klägers auf Insolvenzgeld ab, da er die Ausschlussfrist nicht eingehalten habe. Eine Nachfrist könne ihm nicht gewährt werden, da er innerhalb der Antragsfrist von dem Insolvenzereignis erfahren habe. Den Umstand, dass ihm sein Rechtsanwalt eine falsche Antragsfrist genannt habe, müsse er sich als Versäumung seines Beauftragten zurechnen lassen. Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 10. Oktober 2001).
Der Kläger hat sein Begehren mit seiner Klage vom 8. November 2001 beim Sozialgericht Halle weiterverfolgt. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass er sich das Verschulden seines Bevollmächtigten nicht zurechnen lassen müsse, da sich dessen Vollmacht nicht auf den Antrag auf Insolvenzgeld bezogen habe. Er habe ihn lediglich beauftragt, gegen den ehemaligen Arbeitgeber seine Arbeitslohnforderung durchzusetzen.
Die Beklagte hat hervorgehoben, dass der Kläger nicht an einer rechtzeitigen Antragstellung gehindert gewesen sei. So habe er innerhalb der Antragsfrist erfahren, dass über das Vermögen seines ehemaligen Arbeitgebers das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei. Im übrigen könne von einer Begrenzung des Mandats auf die Vertretung nur im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht die Rede sein, da die Vollmacht umfassend ausge...