Entscheidungsstichwort (Thema)
Insolvenzgeld. Versäumung der Antrags- bzw Ausschlussfrist. Einräumung einer Nachfrist. keine Zurechnung einer Nebenpflichtverletzung eines Anwalts ohne sozialrechtliches Mandat. kein eigenes Verschulden des Arbeitnehmers bei Vertrauen auf unvollständigen Hinweis der rechtskundigen Person
Leitsatz (amtlich)
Eine Zurechnung des Verschuldens eines Anwalts gem § 27 Abs 1 S 2 SGB 10 bei der Versäumung der Antragsfrist nach § 324 Abs 3 SGB 3 durch den Arbeitnehmer setzt voraus, dass der Anwalt im Rahmen des Mandatsverhältnisses auch zur Stellung des Insolvenzgeldantrags befugt war, oder dass es zumindest zu den im Rahmen des Mandatsverhältnisses vom Auftrag umfassten Pflichten des Anwalts gehörte, über die Notwendigkeit der Antragstellung zu informieren. Bezog sich der im Rahmen des Mandats erteilte Auftrag nicht auf die Beantragung von Insolvenzgeld, können Informationspflichten aus dem rein arbeitsrechtlichen Mandat nicht zu einer Verschuldenszurechnung bezogen auf die verspätete Stellung des Insolvenzgeldantrags führen.
Orientierungssatz
Weist eine rechtkundige Person (hier Rechtsanwalt ohne sozialrechtliches Mandat) allgemein auf die Möglichkeit einen Insolvenzgeldantrag zu stellen hin, ohne eine gesonderte Frist hierfür zu nennen, darf der Empfänger des Hinweises davon ausgehen, dass ihm eine angemessene Reaktionszeit für die Antragstellung (2 Wochen nach Kenntniserlangung) verbleibt. Ein der Einräumung einer Nachfrist gem § 324 Abs 3 S 2 SGB 3 entgegenstehendes eigenes Verschulden des Arbeitnehmers kann in einem solchen Fall nicht angenommen werden.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau und der Bescheid der Beklagten vom 24. Januar 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 2007 werden aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Insolvenzgeld in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 10. Oktober 2005 bis zum 3. Januar 2006 zu gewähren. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Insolvenzgeld, insbesondere ist streitig, ob der Kläger die Ausschlussfrist für den Leistungsantrag gewahrt hat.
Der 1956 geborene Kläger stand ab dem 10. Oktober 2005 in einem Arbeitsverhältnis bei der Firma B. W. in Sch.. Er meldete sich bei der Beklagten am 23. Dezember 2005 mit Wirkung zum 28. Dezember 2005 arbeitslos und legte eine mit dem Datum 5. Dezember 2005 versehene arbeitgeberseitige Kündigung seines Arbeitsverhältnisses vor, welche ihm nach seinen Angaben am 19. Dezember 2005 ausgehändigt worden war. Danach erfolgte die Kündigung des Arbeitsvertrages zum Ablauf des 27. Dezember 2005. Der Kläger erhob vor dem Arbeitsgericht Rosenheim Klage wegen fehlender Einhaltung der Kündigungsfrist bis zum 3. Januar 2006 und restlicher Lohnzahlung. Zur Durchsetzung seiner arbeitsrechtlichen Interessen hatte er Rechtsanwalt T. bevollmächtigt. Seinen Antrag auf Arbeitslosengeld lehnte die Beklagte wegen fehlender Anwartschaftszeit ab (Bescheid vom 1. Februar 2006). In dem Antrag auf Arbeitslosengeld hatte der Kläger angegeben, dass er gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber auch noch auf rückständigen Lohn klage. Am 24. März 2006 nahm der Kläger eine neue Arbeit auf mit unregelmäßigen Arbeitszeiten oft bis 19.00 Uhr. Durch Beschluss vom 16. Mai 2006 des Amtsgerichts Traunstein wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. F. D., geborene W. (der Inhaberin der Fa. Bauunternehmung W.), Az.: 4 IN 473/05 eröffnet. Das Arbeitsgericht Rosenheim unterbrach durch Beschluss vom 27. Juni 2006 das arbeitsgerichtliche Verfahren wegen Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Hiervon unterrichtete der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Kläger mit Schreiben vom 5. Juli 2006 (Übersendung zur Kenntnisnahme) und fügte ihm in Kopie die Beschlüsse des Arbeitsgerichts Rosenheim und des Amtsgerichts Traunstein bei. Handschriftlich brachte der Prozessbevollmächtigte auf den Unterbrechungsbeschluss des Arbeitsgerichts Rosenheim den Zusatz an: "Herr B., Sie können Insolvenzgeld beantragen." Der Kläger stellte persönlich den Antrag auf Insolvenzgeld bei der Beklagten am 20. Juli 2006. Zuvor hatte am 7. Juli 2006 der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Hauptforderung in Höhe von 3.054,00 EUR zur Insolvenztabelle angemeldet.
Am 11. Januar 2007 hörte die Beklagte den Kläger zu den Gründen an, weshalb er die Ausschlussfrist versäumt habe. Der Kläger teilte mit Schreiben vom 20. Januar 2007 mit, dass er keine Information oder Kenntnis über eine Ausschlussfrist beim Insolvenzgeldverfahren gehabt habe. Er habe im Januar 2006 seine arbeitsrechtlichen Angelegenheiten dem Rechtsanwalt Herrn T. übergeben und am 5. Juli 2006 den Beschluss mit der Unterbrechung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens zur Kenntnis bekommen mit der handschriftlichen Information, dass er einen Insolvenzgeldantrag stellen könne. Hierzu habe man ihm keine Frist genannt. Aus den gegebenen Umständen könne er aus seiner ...