Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosenversicherung: Gewährung von Insolvenzgeld. Einräumung einer Nachfrist zur Geltendmachung von Insolvenzgeldansprüchen. Vertretenmüssen des Fristversäumnisses bei arbeitsgerichtlicher Durchsetzung offener Entgeltforderungen. Zurechnung der Kenntnis über das Insolvenzereignis eines im arbeitsgerichtlichen Verfahren beauftragten Rechtsanwalts zu Lasten des Arbeitnehmers im Verwaltungsverfahren über Insolvenzgeldansprüche
Orientierungssatz
1. Hat sich ein Arbeitnehmer nach seiner Entlassung durch seinen Arbeitgeber um die Durchsetzung seiner noch offenen Entgeltansprüche im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens bemüht, so kann ihm bei einer zwischenzeitlich eingetretenen Insolvenz des Arbeitgebers bei einer Versäumung der Frist zur Beantragung von Insolvenzgeld die Gewährung der gesetzlichen Nachfrist nicht wegen zu vertretenden Fristversäumnisses verwehrt werden.
2. Das Versäumnis der Frist zur Beantragung von Insolvenzgeld führt auch dann nicht zum Ausschluss des Arbeitnehmers von der Nachfristgewährung, wenn sein im arbeitsgerichtlichen Verfahren mit der Vertretung beauftragter Rechtsanwalt Kenntnis vom Insolvenzereignis hat und den Arbeitnehmer nicht ausreichend über die befristet mögliche Antragstellung informiert, jedenfalls soweit die Beauftragung des Rechtsanwalts nicht tatsächlich auch die Vertretung bei der Geltendmachung von Insolvenzgeldansprüchen einschließt.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 17.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.08.2015 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger Insolvenzgeld in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 15.2.2014 bis 14.5.2014 zu bewilligen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Insolvenzgeld (Insg) für den Zeitraum vom 15.02.2014 bis 14.05.2014. Insoweit ist streitig, ob der Kläger seinen Insg-Antrag fristwahrend gestellt hat.
Der 1973 geborene Kläger stand ab dem 07.01.2014 in einem Beschäftigungsverhältnis bei der Firma "Die Fenster Profis UG" in D ... Mit Schreiben vom 21.03.2014, eingegangen am 10.04.2014 erhielt der Kläger von seinem Arbeitgeber die Kündigung zum 07.04.2014.
Der Kläger erhob vor dem Arbeitsgericht Duisburg Klage wegen fehlender Einhaltung der Kündigungsfrist bis zum 15.05.2014 und restlicher Lohnzahlungen für den seit Februar 2014 ausstehenden Lohn (Az.: 2 Ca 943/14). Zur Durchsetzung seiner arbeitsrechtlichen Interessen hatte der Kläger Rechtsanwalt Güldenberg beauftragt. Die entsprechende Vollmacht vom 28.04.2014 lautet auf "Mierisch./. Diehl", "wegen Lohn". Der Kläger erhielt für das arbeitsgerichtliche Klageverfahren Prozesskostenhilfe. Das Verfahren endete nach einem Teilversäumnisurteil vom 26.08.2014 mit einem Anerkenntnisurteil vom 11.11.2014. Im Anschluss hieran erfolgte nach entsprechender Mandatierung die Zwangsvollstreckung aus den arbeitsgerichtlichen Titeln mit Antrag vom 30.09.2014 beim Amtsgericht Duisburg. Auch hierfür wurde Prozesskostenhilfe beantragt. Ein entsprechender Bewilligungsbeschluss unter dem Az. 101 M 2272 / 14 ging bei den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 08.12.2014 ein. Sodann wurde die Zwangsvollstreckung gegen den Arbeitgeber mit Vollstreckungsauftrag vom 16.12.2014 eingeleitet. Im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens gegen den Geschäftsführer der UG erging am 08.04.2015 Haftbefehl, um die Abgabe der Vermögensauskunft zu erzwingen (Az.: 101 M 0844/15 Amtsgericht Duisburg). Aus einem anderen Vollstreckungsverfahren gegen die UG erhielten die Prozessbevollmächtigten Kenntnis darüber, dass der Geschäftsführer der UG bereits am 03.03.2015 das Vermögensverzeichnis für die UG unter dem Aktenzeichen DR II-0021 / 15 beim Amtsgericht Aschersleben abgegeben hatte. Daraus ergab sich, dass zumindest zum 03.03.2015 der Geschäftsbetrieb noch nicht eingestellt und ein Insolvenzantrag noch nicht gestellt war. Mitte Juni erhielt der Prozessbevollmächtigte durch einen anderen Mandanten, den er ebenfalls gegen den Arbeitgeber gerichtlich vertreten hatte, die Information, dieser habe von der Ex-Ehefrau des ehemaligen Arbeitgebers Kenntnis darüber erhalten, dass ein Insolvenzverfahren eröffnet worden sein soll. Gemäß den Angaben des Prozessbevollmächtigten war zu diesem Zeitpunkt aber nicht bekannt, bei welchem Insolvenzgericht und mit welchem Aktenzeichen und auch nicht zu welchem Datum das Insolvenzverfahren eröffnet worden sein soll. Der Prozessbevollmächtigte informierte den Kläger daher telefonisch am 15.06.2015 zunächst nur über diese neuen Erkenntnisse und wies darauf hin, dass der Kläger bezüglich des zuständigen Insolvenzgerichts und des Aktenzeichens schriftlich informiert werde. Diese schriftliche Information erfolgte mit Schreiben vom 18.06.2015, dass der Kläger aufgrund des Poststreiks der Deutschen Post im Juni 2015 jedoch erst mit erheblicher Verspätung erhielt. Unmittelbar nach Erhalt des Anwaltsschreibens stellte der Kläger persönlich am 07.07.2015 einen Antrag auf Insolvenzgeld...