Entscheidungsstichwort (Thema)
Neuordnung der Versorgungsverwaltung in Sachsen-Anhalt. Geeignetheit zur Vertretung in Angelegenheiten nach § 71 Abs 5 SGG. Beschädigtenversorgung. Internierung. gesundheitliche Schädigung. Schädigungsfolge. Hörstörung. Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs
Orientierungssatz
1. Zur ordnungsgemäßen Prozeßvertretung gemäß § 71 Abs 5 SGG idF vom 17.8.2001 durch das Referat 609 "Grundsatzangelegenheiten" der Abteilung "Familie, Gesundheit, Jugend und Versorgung" des zum 1.1.2004 errichteten Landesverwaltungsamtes Sachsen-Anhalt (vgl LSG Halle vom 19.2.2004 - L 7 (5) SB 8/02 = JMBl ST, 111-117).
2. Zum Nichtvorliegen eines Anspruchs auf Beschädigtenversorgung nach dem BVG wegen einer während der Internierung als Säugling erlittenen gesundheitlichen Schädigung (hier: Säuglingsotitis und Resistenzminderung), wenn die geltend gemachten Schädigungsfolgen (hier: Hörschädigung) nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine Folge der durch die Internierung herbeigeführten gesundheitlichen Schädigung sind.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Feststellung einer Hörschädigung mit depressiver Erkrankung als Schädigungsfolge und Beschädigtenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Die Klägerin ... 1944 als Volksdeutsche in B geboren. Vom 28. September 1944 bis zum 19. Oktober 1945 war sie ausweislich des Entlassungsscheins des Kommandanten des rumänischen Internierungslagers T M interniert.
Bei der Klägerin besteht eine Taubheit links nach einer Radikaloperation und eine Gehörminderung rechts bei narbigen Veränderungen im Bereich des Trommelfells. Sie hatte am 18. Mai 1990 ihren Wohnsitz im Beitrittsgebiet. Im Dezember 1992 beantragte sie Beschädigtenversorgung nach dem BVG. Sie gab an, als Säugling während der Internierung in den Lagern T J und T M (Namen von Städten in Rumänien) an einer Mittelohrentzündung erkrankt zu sein, die infolge der schlechten Lebensbedingungen und fehlender ärztlicher Versorgung zur Dauerschädigung ihres Gehörs geführt habe. Erst seit der Übersiedlung von Rumänien in die DDR im Dezember 1950 sei sie in ärztlicher Dauerbehandlung. Sie sei links taub und rechts hörgeschwächt. Die (dadurch verursachte) Leistungsminderung und mangelnde Rücksichtnahme im bisherigen Arbeitsumfeld hätten eine Neigung zu Depressionen ausgelöst. Wegen negativer Erfahrungen habe sie ihre Hörbehinderung möglichst verschwiegen. Die Klägerin fügte schriftliche Zeugenaussagen von Schwägerinnen ihrer Eltern bei, die auf erinnerte Briefe und Hörensagen gestützt waren. Während des Verwaltungsverfahrens ergänzte die Klägerin ihr Vorbringen und legte die schriftliche Zeugenaussage ihrer Tante A K vom 25. Januar 1995 sowie weitere Unterlagen vor.
Der Beklagte zog die Schwerbehinderten-Akten über die Klägerin bei. Der mit Bescheid vom 14. April 1993 bei ihr festgestellte Grad der Behinderung von 50 wurde mit Änderungsbescheid vom 15. September 1997 auf 60 erhöht, wobei neben der Schwerhörigkeit und einer seelischen Gesundheitsbeeinträchtigung auch weitere Gesundheitsstörungen als Behinderung berücksichtigt wurden.
Neben Befundberichten holte der Beklagte von dem Facharzt für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde Dr. P M das Gutachten vom 16. November 1993 und von dem Klinischen Psychologen Dr. sc. S das fachpsychologische Gutachten vom 22. Februar 1995 ein. Mit Bescheid vom 13. Juni 1995 lehnte der Beklagte den Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab, nach beiden Gutachten bestehe zwischen den Lebensumständen im Internierungslager und den geltend gemachten Gesundheitsschäden nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit ein Ursachenzusammenhang. Auf den Widerspruch der Klägerin hin beauftragte der Beklagte den Arzt für Innere Medizin Prof. Dr. D mit der ärztlichen Stellungnahme vom 12. September 1995 und befragte schriftlich die Zeugin A K und die beiden Schwestern der Klägerin. Bemühungen um die Ermittlung ärztlicher Unterlagen aus der älteren Zeit blieben erfolglos.
Dem Vorbringen der Klägerin und den Ermittlungen des Beklagten im Verwaltungsverfahren ist der folgende Sachverhalt zu entnehmen:
Die Klägerin hat mit Schreiben vom 5. Juli 1994 vorgetragen, sie sei zusammen mit ihren Eltern und ihren beiden älteren Schwestern zunächst in T J und dann in T M interniert worden. Ihr Vater sei von dort aus 1945 zur Aufbauarbeit in die Sowjetunion geschickt worden.
Die 1909 geborene Zeugin A K ist die Schwester der Mutter der Klägerin. Sie hat in ihren schriftlichen Aussagen vom 25. Januar 1995 und 25. Februar 1996 berichtet, sie sei 1940 zusammen mit ihrem Ehemann, ihrer Tochter und ihrer Mutter nach Deutschland umgesiedelt worden. Im Sommer 1945 hätten sie und ihre beiden Schwestern, die damals ebenfalls in Deutschland gelebt hätten, erfahren, dass ihre Schwester H mit ihren drei Kindern in einem "Ausrottungslager für Deutsche" interniert sei, im Lager T, Scharlach und Keuchhusten herrschten und ihre an Typhus erkrankte Schwester von ihren ebenfalls erkrankten Kindern g...