Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattung von Leistungen der Sozialhilfe durch den endgültig zuständigen Leistungsträger gegenüber dem vorleistenden Träger

 

Orientierungssatz

1. Hat ein unzuständiger Leistungsträger Leistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 SGB 10 vorlagen, so ist der zuständige bzw. zuständig gewordene Träger erstattungspflichtig, soweit dieser nicht bereits geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Der Umfang des Erstattungsanspruchs richtet sich nach den für den zuständigen Träger geltenden Rechtsvorschriften.

2. Die Voraussetzungen des § 102 Abs. 1 SGB 10 sind dann nicht gegeben, wenn der Erstattungsberechtigte nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat. Dessen vorläufige Leistungspflicht nach materiell-rechtlichen Vorschriften ist mit der Weiterleitung des Antrags an den zuständigen Leistungsträger nach § 14 Abs. 2 S. 3 SGB 9 ausgeschlossen.

3. Wird der Antrag von dem zuerst angegangenen Rehabilitationsträger weitergeleitet, so ist der zweitangegangene Träger zuständig. Dieser muss abschließend entscheiden (Anschluss BSG Urteil vom 14. 12. 2006, B 4 R 19/06 R).

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 31. Januar 2014 aufgehoben und der Beklagte verurteilt, dem Kläger die Kosten der von ihm für den Zeitraum ab dem 22. Mai 2007 erbrachten Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) für Frau S. S. zu erstatten.

Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Aufwendungen des Klägers nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) für S. S. (im Weiteren: S.S.) seit dem 22. Mai 2007.

Die am ... 1986 geborene S.S. wurde ab September 1986 in dem Säuglingsheim "M." in B. aufgenommen. B. befindet sich im heutigen S. in S., der am 1. Juli 2007 im Rahmen der Kreisgebietsreform durch Zusammenlegung der Landkreise A.-St. (ohne F./H.), B. und Sch. gebildet wurde. Mit Beschluss des Rates des Kreises Sch. - Jugendhilfeausschuss - vom 2. Juli 1986 wurde für S.S. die Heimerziehung angeordnet, da ihre damals in B. wohnende Mutter auf Grund der persönlichen Entwicklung nicht in der Lage gewesen sei, "eine normgerechte Betreuung, Versorgung, Erziehung und Entwicklung des Säuglings zu sichern". Die Mutter befand sich zu diesem Zeitpunkt in einem Krankenhaus in H., die beiden Geschwister von S.S. in einem Heim. Am 2. Oktober 1989 wurde S.S. in das Kinderheim der Arbeiterwohlfahrt in Sch. aufgenommen.

Seit dem 8. August 1996 lebt S.S. in O. im LK Sch., Baden-Württemberg. Unter dem 15. Oktober 1996 schloss der Landkreis Sch. mit R.S. (Pflegemutter) und G.S. (Pflegevater) einen "Pflege- und Erziehungsvertrag" für die Dauerpflege von S.S. Das Pflegeverhältnis endete nach Abschnitt III Nr. 1 Buchst. b) des Vertrages, wenn die Voraussetzungen der Gewährung öffentlicher Jugendhilfe nicht mehr vorlägen. Die Dauerpflege von S.S. erfolgte in der Folgezeit durch die Pflegeeltern, wobei die Familie in einem Eigenheim (Einfamilienhaus) - nach der Auskunft des Einwohnermeldeamtes O. vom 23. Mai 2007 - im Übrigen mit den beiden leiblichen Kindern und, seit dem 3. Juli 2000, einer weiteren Pflegetochter lebt. Nach den Angaben des Pflegevaters handelt es sich um eine "Sonderpflegefamilie", eine "heilpädagogische" bzw. "sonderpädagogische" Pflegefamilie, in der seit 1994 dreizehn "sehr schwierige Kinder" erzogen worden seien. Die Pflegemutter sei ausgebildete Kinderpflegerin und Kinderkrankenschwester. Er, der Pflegevater, habe eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger begonnen und sei in H. für geistig behinderte oder schwer erziehbare Menschen und vor seiner Pensionierung im Jahr 2004 17 Jahre als technischer Lehrer an einer Sonderschule für geistig behinderte Menschen tätig gewesen. Die Pflegemutter wirke seit 1975 zu Hause in der Betreuung der eigenen Kinder und der Pflegekinder.

Bei S.S. ist seit dem 23. Dezember 1997 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 mit den Merkzeichen "G", "H" und "B" anerkannt. Sie schloss die Sonderschule für geistig behinderte Menschen ab. Die Ärztin Dr. L. stellte in ihrem ärztlichen Zeugnis für das Gesundheitsamt des Landratsamtes S.-H. vom 9. September 1998 auf Grund der Untersuchung von S.S. am 8. September 1998 fest, bei dieser liege eine mentale Retardierung auf Grund einer Deprivation im Kleinkindes- und Kindesalter vor. Beeinträchtigt seien bei ihr die Beschäftigung, die funktionalen Schulleistungen und die sozialen und zwischenmenschlichen Fähigkeiten. Es liege vorrangig eine seelische Behinderung mit einer zusätzlichen geistigen Behinderung vor. In ihrem für die ARGE SoziAl S.-H. erstellten Gutachten vom 7. Mai 2009 kam die Medizinaldirektorin des ärztlichen Dienstes der Agentur für Arbeit Sch. Dr. G. zu dem Ergebnis, bei S.S. liege auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ein Leist...

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