Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss bei Aufenthalt in stationärer Einrichtung. Nichtvorliegen einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung bei Jugendarrest nach § 16 JGG
Leitsatz (amtlich)
Die Verbüßung eines Jugendarrestes nach § 16 Jugendgerichtsgesetz (JGG) unterfällt nicht dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 SGB 2. Anders als eine Freiheits- oder Ersatzfreiheitstrafe sowie eine Jugendstrafe ist der Jugendarrest ein Zuchtmittel, das nicht die Rechtswirkungen einer Strafe hat. Der Jugendarrest kann daher nicht mit einer richterlich angeordneten Freiheitsentziehung gleichgesetzt werden.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 19. Dezember 2012 und der Bescheid des Beklagten vom 16. März 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2010 werden aufgehoben.
Der Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens für beide Rechtszüge zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen endgültigen Bescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II), mit dem der Beklagte bereits gewährte vorläufige Leistungen wegen des Aufenthaltes in einer Jugendarrestanstalt zurückforderte.
Der am ... 1987 geborene Kläger bezieht seit März 2008 Leistungen nach dem SGB II. Mit Schreiben vom 20. Januar 2009 bestellte der Beklagte den Kläger zu einem Termin am 28. Januar 2009 ein. Diesen Termin nahm der Kläger nicht wahr. Mit Anhörungsschreiben vom 2. Februar 2009 kündigte der Beklagte eine Absenkung der Leistungen an, da der Meldetermin vom 28. Januar 2009 nicht eingehalten worden sei. Bereits am 21. Januar 2009 hatte der Kläger einen Antrag auf Zusicherung zu den Aufwendungen nach einem Umzug in eine ca. 42 qm große Zweiraumwohnung in der P., D.-R., zu einer Warmmiete von 286,00 EUR (Nettokaltmiete: 178,50 EUR; Vorauszahlung Betriebskosten: 55,00 EUR; Vorauszahlung Heizung/Warmwasser: 52,50 EUR) gestellt. Nach einer Berechnung der Kosten der Unterkunft (KdU) ermittelte der Beklagte einen KdU-Betrag in Höhe von 279,37 EUR. Mit Schreiben vom 19. Februar 2009 stimmte er dem beabsichtigten Umzug zu.
Unter dem 2. Februar 2009 erfolgte eine weitere Einladung des Klägers für den 10. Februar 2009, die er erneut nicht befolgte. Auf ein Anhörungsschreiben des Beklagten vom 11. Februar 2009 führte der Kläger aus: Der dargelegte Sachverhalt sei zutreffend. Er sei vom Amtsgericht D.-R. unter Betreuung gestellt worden. Der Betreuer habe die Aufgabe, ihn in den rechtlichen Angelegenheiten zu unterstützen und seine Einkünfte zu überwachen. Er sei mit den Einladungen nicht klar gekommen.
Auf den Weiterbewilligungsantrag vom 27. Februar 2009 gewährte der Beklagte mit Bescheid vom 10. März 2009 für die Zeit vom 1. April 2009 bis 30. Juni 2009 vorläufig einen monatlichen Gesamtbetrag in Höhe von 595,37 EUR. Dieser Betrag setzte sich zusammen aus der Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhaltes in Höhe von 351,00 EUR und KdU in Höhe von 279,37 EUR, die um einen Minderungsbetrag aufgrund von Sanktionen in Höhe von 35,00 EUR reduziert wurden. Mit Bescheid vom selben Tage senkte der Beklagte das Arbeitslosengeld II gemäß § 31 Abs. 2 und 6 SGB II für den vorgenannten Zeitraum um 10 % (= 35,00 EUR) ab.
Am 30. März 2009 ging beim Beklagten eine Mitteilung des Sozialpsychiatrischen Dienstes der Stadt D.-R. ein. Hiernach sei für den Kläger die gesetzliche Betreuung bei Gericht angeregt worden. Der Kläger sei aufgrund psychischer Störungen teilweise nicht in der Lage, seine persönlichen Angelegenheiten selbst zu regeln. Er habe Probleme, an ihn gestellte Fragen zu beantworten.
Mit Bescheid vom 16. April 2009 senkte der Beklagte das Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Juli 2009 um 20 % in Höhe von 70 EUR wegen eines wiederholten Meldeverstoßes ab. Der Sozialpsychiatrische Dienst informierte den Beklagten mit Schreiben vom 24. April 2009, dass der Kläger einer weiteren Einladung zur Berufsberatung am 7. Mai 2009 nicht nachkommen könne, da er in der Jugendarrestanstalt H. einen zweiwöchigen Dauerarrest aus einem Strafurteil verbüßen müsse. Mit Schreiben vom 13. Mai 2009 forderte der Beklagte den Kläger auf, eine Haftbescheinigung vorzulegen. Im Juni 2009 wandte sich der Betreuungsverein K. e.V. an den Beklagten und zeigte die rechtliche Betreuung des Klägers an. Nach einer beigefügten Bestellungsurkunde des Amtsgerichts D.-R. Vormundschaftsgericht (10 R XVII 122/08) vom 1. Juli 2009 war der Betreuer P. für den Kläger zum Betreuer bestellt worden. Zu seinen Aufgabenkreisen gehörten:
Vermögenssorge
Geltendmachung und Abwehr von Ansprüchen aller Art
Postangelegenheiten
Sorge für die Gesundheit.
Am 4. Februar 2010 übersandte der Betreuer des Klägers dem Beklagten eine Bescheinigung der Jugendarrestanstalt H. vom 26. Januar 2010. Hiernach habe der Kläger dort vom 5. Mai bis 18. Mai 2009 einen Dauerarrest verbüßt. Eine ...