Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Unterkunftsbedarf. selbst genutztes Hausgrundstück. Zahlungen auf Zinsforderungen aus vor dem Leistungsbezug gekündigten Immobiliendarlehen

 

Leitsatz (amtlich)

Zahlungen von Leistungsberechtigten, die diese nach der Kündigung des Immobiliendarlehns für ein von ihnen bewohntes Haus noch an das Kreditinstitut leisten und die von diesem mit während der Laufzeit des Darlehens fällig gewordenen Zinsen verrechnet werden, sind keine Aufwendungen für den aktuellen Unterkunftsbedarf nach § 22 Abs 1 SGB II. Dies gilt auch dann, wenn die Zahlungen Gegenstand einer mit dem Kreditinstitut abgeschlossen Vereinbarung sind, in der das Kreditinstitut sich bereit erklärt hat, auf Zwangsvollstreckungsmaßnahmen zu verzichten.

 

Orientierungssatz

1. Zu den Unterkunftskosten iS des § 22 SGB 2 für ein selbstgenutztes Hausgrundstück zählen Aufwendungen, die tatsächlich und untrennbar mit der Nutzung des Hausgrundstücks verbunden sind. Zu diesen Aufwendungen zählen neben den laufenden Betriebs- bzw Nebenkosten auch tatsächliche aufzuwendende Schuldzinsen zur Finanzierung des Eigenheims.

2. Verzugszinsen dagegen, die nach Kündigung eines Immobiliendarlehens berechnet werden, sind nach überwiegender Auffassung nicht als Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen.

3. Nicht in die Bedarfsberechnung einzustellen sind auch Zahlungen auf Forderungen der Bank, die sich auf die vereinbarungsgemäß während der Laufzeit des (vor Beginn des Leistungsbezugs nach dem SGB 2) gekündigten Immobiliendarlehens angefallenen Zinsen beziehen. Da diese vor Beginn des Leistungsbezugs fällig geworden sind und keinen tatsächlichen aktuellen Bedarf begründen, können sie gemäß § 22 Abs 1 S 1 SGB 2 nicht als Unterkunftsbedarf berücksichtigt werden.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 12.12.2019; Aktenzeichen B 14 AS 26/18 R)

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 16. Dezember 2013 und die Bescheide vom 3. März 2009 geändert durch die Bescheide vom 24. August 2009 und vom 28. Mai 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2012, vom 29. Oktober 2010 geändert durch Bescheid vom 5. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. April 2012 und vom 28. Mai 2010 geändert durch die Bescheide vom 23. November 2010 und vom 5. März 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. April 2012 werden abgeändert und der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Leistungen für Unterkunft und Heizung unter Berücksichtigung jeweils eines Drittels eines zusätzlichen Gesamtbedarfs in Höhe von 321,61 EUR für Juli 2009, 14,54 EUR für März 2010, 7,28 EUR für April 2010, 9,09 EUR für Mai 2010, 7,28 EUR für Juni 2010 und 70,77 EUR für August 2010 zu gewähren.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Klägerin nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) zu erbringenden Leistungen für Unterkunft und Heizung für den Zeitraum vom 1. Oktober 2008 bis zum 31. August 2010.

Die im Januar 1958 geborene Klägerin lebte im streitbefangenen Zeitraum zusammen mit ihrem im Juli 1993 geborenen Sohn R und ihrer im Januar 1996 geborenen Tochter L. Für beide Kinder wurde Kindergeld (2008 in Höhe von monatlich jeweils 154 EUR, 2009 in Höhe von monatlich jeweils 164 EUR und 2010 in Höhe von monatlich jeweils 184 EUR) gezahlt. Die Tochter L. erhielt außerdem Unterhaltszahlungen in Höhe von monatlich 223 EUR. Die Klägerin erzielte Einnahmen aus einer Beschäftigung in einem Supermarkt zunächst in Höhe von monatlich 150 EUR brutto/netto. Das Einkommen erhöhte sich ab Februar 2009 auf monatlich 401 EUR brutto/359,80 EUR netto. Aus einer zweiten Tätigkeit für einen Werbeverlag erzielte die Klägerin Einnahmen in monatlich unterschiedlicher Höhe, aber nie über 28,10 EUR hinaus. Außerdem wurde für die Tochter Pflegegeld nach der Pflegestufe 1 gezahlt. Die Tochter arbeitete ebenfalls für den Werbeverlag, verdiente dort aber nie mehr als 21,20 EUR/Monat (brutto = netto). Im Juni 2010 nahm auch der Sohn eine Beschäftigung bei dem Werbeverlag auf. Er erzielte nie höhere Einnahmen als 18,22 EUR/Monat (brutto = netto).

Die Klägerin zahlte Beiträge zu einer Kfz-Haftpflichtversicherung in Höhe von monatlich 25,44 EUR und zu einer Riester-Rentenversicherung in Höhe von monatlich 10 EUR.

Die Klägerin sowie der Sohn und die Tochter wohnten in einem 116 qm großen und im Jahr 1950 erbauten Eigenheim auf einem 296 qm großen Grundstück. Für die Finanzierung des Ankaufs des Grundstücks und von Sanierungsmaßnahmen hatten die Klägerin und ihr damaliger Ehemann (die Scheidung erfolgte im September 2001) in den Jahren 1992 und 1993 Darlehensverträge mit der V. Bank in S. (im Folgenden: V. Bank) abgeschlossen. Weil die Verpflichtungen aus den Darlehensverträgen von der Klägerin und ihrem Ehemann nicht erfüllt worden waren, kündigte die V. Bank im Januar 1996 die Kreditvereinb...

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