Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Rentenversicherung. Anspruch auf ungekürzte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit. Rentenminderung aufgrund vorzeitiger Inanspruchnahme. Vertrauensschutzregelung. Fingieren von Tatsachen im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches
Orientierungssatz
1. Die Vertrauensschutzregelung des § 237 Abs. 2 SGB VI in der bis zum 31.12.1999 geltenden Fassung findet keine Anwendung auf Personen, die zum maßgeblichen Stichtag am 14.02.1996 Überbrückungsgeld und Existenzgründerhilfe für eine selbständige Tätigkeit erhielten.
2. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ist auf Beseitigung der Folgen einer Pflichtverletzung der Verwaltung gerichtet und setzt eine objektive Pflichtverletzung eines Sozialleistungsträgers voraus. Mit den Rechtsfolgen des Anspruchs können rechtlich zulässige Folgen fingiert werden, nicht jedoch tatsächliche Lebenssachverhalte.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf eine ungekürzte Altersrente wegen Arbeitslosigkeit hat oder eine Rentenminderung aufgrund vorzeitiger Inanspruchnahme hinnehmen muss.
Der am 5. April 1939 geborene Kläger war bis zum 30. September 1994 als Angestellter tätig. Anschließend war er bis zum 23. April 1995 arbeitsunfähig und danach bis zum 31. Mai 1995 arbeitslos. Nach einer Vielzahl erfolgloser Bewerbungen meldete er zum 1. Juni 1995 eine Handelsvertretung für Papier, Karton und Verpackungsmaterial an. Anlässlich der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit erhielt er vom Arbeitsamt ab 1. Juni 1995 für die Dauer von 26 Wochen Überbrückungsgeld und Aufwendungen für die Krankenversicherung und Altersversorgung. In der Zeit vom 27. November 1995 bis zum 11. Mai 1996 nahm er an einem Existenzgründerkurs an einem privaten Fortbildungsinstitut teil. Dieser Kurs wurde aus Fördermitteln des Europäischen Sozialfond (ESF) der EU und des Landes Sachsen-Anhalt finanziert. Ausweislich einer Bescheinigung des Instituts vom 10. Dezember 1996 erhielt der Kläger eine Existenzgründerhilfe in Höhe von insgesamt 8.400,00 DM (350,00 DM wöchentlich). Am 10. Mai 1996 meldete er sein Gewerbe zum 31. Mai 1996 ab, weil keine ausreichenden Umsätze zu verzeichnen waren. Ab 1. Juni 1996 war er wieder arbeitslos.
Im Februar 1997 stellte er einen Antrag auf Kontenklärung. In diesem Zusammenhang bat er auch um Auskunft, ob für ihn Vertrauensschutz bezüglich der Anhebung der Altersgrenze für die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit bestehe. Mit Vormerkungsbescheid vom 3. November 1997 stellte die Beklagte die Zeiten bis 31. Dezember 1990 gemäß § 149 Abs. 5 Sozialgesetzbuch - Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) als für die Beteiligten verbindlich fest. In der beigefügten Rentenauskunft erklärte sie, der Kläger könne die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit frühestens ab Mai 1999 ohne Rentenabschlag beanspruchen, wenn die übrigen Voraussetzungen erfüllt seien. Bei Inanspruchnahme zum frühestmöglichen Zeitpunkt (Vollendung des 60. Lebensjahres) würde diese Altersrente um 0,0 % gekürzt werden.
Am 28. November 1997 sprach der Kläger bei der Auskunfts- und Beratungsstelle der Beklagten in Halle vor und fragte an, ob er unter die "Vertrauensschutzregelung des § 38 SGB VI" falle. Die Beklagte teilte ihm schließlich mit Schreiben vom 27. Mai 1998 mit, ein Vertrauensschutz bestehe nicht, weil er am Stichtag (14. Februar 1996) eine auf Dauer angelegte selbständige Tätigkeit ausgeübt habe. Trotz der Förderung durch den ESF habe es sich nicht um eine befristete arbeitsmarktpolitische Maßnahme gehandelt. Arbeitslosigkeit habe am maßgeblichen Stichtag ebenfalls nicht vorgelegen. Auf den dagegen erhobenen Widerspruch teilte die Beklagte mit, das Schreiben vom 27. Mai 1998 sei kein Verwaltungsakt, der mit einem Widerspruch angefochten werden könne. Erst gegen einen Rentenbescheid sei ein Widerspruch zulässig.
Am 14. Dezember 1998 stellte der Kläger einen Antrag auf Rente wegen Arbeitslosigkeit und Vollendung des 60. Lebensjahres. Daraufhin gewährte die Beklagte ihm Altersrente wegen Arbeitslosigkeit mit einem antragsgemäßen Rentenbeginn am 1. Mai 1999 (Bescheid vom 30. April 1999). Dabei legte sie bei der Rentenberechnung wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente einen verminderten Zugangsfaktor zu Grunde.
Dagegen erhob der Kläger Widerspruch: Hier müsse eine Einzelfallentscheidung getroffen werden, da es nur wenige Existenzgründer in einem Alter über 55 Jahren gebe. Außerdem sei ihm die Existenzgründung vom Arbeitsamt als Überbrückung bis zum Rentenbezug mit dem 60. Lebensjahr vorgeschlagen worden. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. November 1999 zurück und wiederholte im wesentlichen die Begründung aus dem Schreiben vom 27. Mai 1998.
Mit seiner am 7. Dezember 1999 beim Sozialgericht Halle eingegangenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Ergänzend und vertiefend hat er...