Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. ehrenamtlicher Bürgermeister in einer Mitgliedsgemeinde einer Verwaltungsgemeinschaft in Sachsen-Anhalt. Verpflichtung zur Wahrnehmung weisungsgebundener Verwaltungsaufgaben. Repräsentationsaufgaben. organschaftliche Stellung. ideeller Zweck. pauschale Aufwandsentschädigung. Anwendbarkeit der BSG. Rechtsprechung vom 16.8.2017. B 12 KR 14/16 R auch auf ehrenamtliche Organtätigkeiten in der kommunalen Selbstverwaltung
Leitsatz (amtlich)
1. Aufgaben und Tätigkeiten, die Ausfluss der organschaftlichen Stellung einer ein Ehrenamt ausübenden Person und die auch nicht für jedermann frei zugänglich sind, führen regelmäßig nicht zu einer persönlichen Abhängigkeit gemäß § 7 Abs 1 SGB IV.
2. Die ehrenamtlichen Tätigkeiten müssen nicht auf reine Repräsentationsaufgaben beschränkt sein. Sie erhalten ihr Gepräge durch ihre ideellen Zwecke und die Unentgeltlichkeit.
3. Die vom BSG fortentwickelte Rechtsprechung im Urteil vom 16.8.2017 - B 12 KR 14/16 R = BSGE 124, 37 = SozR 4-2400 § 7 Nr 31 ist nicht nur für die Fälle der funktionellen Selbstverwaltung, sondern auch auf die ehrenamtlichen Organtätigkeiten in der kommunalen Selbstverwaltung anwendbar.
Nachgehend
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 22. Mai 2014 sowie der Bescheid der Beklagten vom 15. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2010 werden aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 4.785,28 EUR festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen für die Zeit vom 4. Juli 2008 bis 31. Oktober 2009. Zwischen den Beteiligten sind die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1. in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung sowie der sozialen Pflegeversicherung vom 4. Juli 2008 bis zum 31. Oktober 2009 sowie die Nachforderung von Sozialversicherungsbeiträgen i.H.v. 4.785,28 EUR streitig.
Die Klägerin ist Rechtsnachfolgerin der zum 31. Dezember 2010 aufgelösten Verwaltungsgemeinschaft E.-F. im Landkreis W. in Sachsen-Anhalt, deren Mitglied die Stadt Z. war. Diese beschäftigte nach Angaben der Klägerin sechs Arbeitnehmer. Am 1. Januar 2011 erfolgte im Zuge einer Gebietsreform die Bildung einer Einheitsgemeinde.
Der Beigeladene zu 1. war nach seiner Wiederwahl ab 4. Juli 2008 zum Bürgermeister der Stadt Z. ernannt worden. Dessen Aufgaben ergaben sich aus der Hauptsatzung vom 29. August 2002, geändert durch die Hauptsatzung vom 24. Oktober 2008. Danach war der Bürgermeister Vorsitzender des Stadtrats (§ 3 Abs. 2). Bestimmte Rechtsgeschäfte durfte er alleine vornehmen (§ 8). Die Zuständigkeit des Verwaltungsamtes der Verwaltungsgemeinschaft E.-F. wurde in einer Gemeinschaftsvereinbarung geregelt (§ 10). Wegen der weiteren Einzelheiten der Hauptsatzungen wird auf Bl. 56, 74 der Gerichtsakte verwiesen.
Der Beigeladene zu 1. erhielt für diese ehrenamtliche Tätigkeit gemäß § 3 Abs. 1 der Entschädigungssatzung für ehrenamtliche tätige Bürger der Stadt Z. vom 11. Dezember 2008 eine pauschale Aufwandsentschädigung i.H.v. 1.200 EUR/Monat. Im Mai 2009 erhielt er wegen längerer Arbeitsunfähigkeit keine Aufwandsentschädigung. Diese wurde dem stellvertretenden Bürgermeister gezahlt, der für den Beigeladenen zu 1. die Amtsgeschäfte wahrnahm.
Die Beklagte führte bei der Stadt Z. in der Zeit vom 9. bis 18. November 2009 eine Betriebsprüfung durch. Mit Anhörungsschreiben vom 17. November 2009 teilte sie der Stadt Z. mit, dass sie nach § 28p Abs. 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch - Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung (SGB IV) beabsichtige, für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2009 Nachforderungen zur Sozialversicherung i.H.v. 4.785,28 EUR zu erheben.
Mit Bescheid vom 15. Dezember 2009 forderte die Beklagte die Stadt Z. zur Zahlung von Nachforderungen zur Sozialversicherung für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 31. Oktober 2009 i.H.v. 4.785,28 EUR auf. Der Beigeladene zu 1. nehme in seiner Tätigkeit als ehrenamtlicher Bürgermeister der Stadt Z. neben Repräsentationsaufgaben auch dem allgemeinen Erwerbsleben zugängliche Verwaltungsaufgaben wahr und erhalte hierfür eine Aufwandsentschädigung. Damit sei er ab 4. Juli 2008 abhängig beschäftigt und unterliege der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung. Dabei legte die Beklagte der Beitragserhebung ein beitragspflichtiges Entgelt von 800 EUR/Monat zugrunde. Ein Drittel der gewährten Aufwandsentschädigung sei steuerfrei und somit nicht beitragspflichtiges Entgelt.
In dem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Stadt Z. geltend, wegen Verstoßes gegen § 24 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) und gegen das Begründungserfordernis des § 35 SGB X sei der Bescheid vom...