Entscheidungsstichwort (Thema)
Überlanges Gerichtsverfahren. Entschädigungsklage. sozialgerichtliches Verfahren. entschädigungsrechtliche Trennung von PKH-Verfahren und Hauptsache. Pflicht zur Förderung des Hauptsacheverfahrens bei unbedingter Klageerhebung. kein Zuwarten auf Ermittlungen zur Prozesskostenhilfe. mögliche Weiterbearbeitung auch während laufender Stellungnahmefristen. Zwölfmonatszeitraum zur Rechtsprüfung. Studium der Verwaltungsakte innerhalb der allgemeinen Vorbereitungszeit. Aktenbeiziehung. tatsächliche Komplexität. Verzögerungsrüge. unbezifferter Klageantrag. Möglichkeit einer Verurteilung bis zu 50 % über Mindestforderung. Altfall. abgeschlossene Instanz. Anhängigkeit der Klage in der Rechtsmittelinstanz. keine Klagefrist gemäß Art 23 ÜberlVfRSchG
Leitsatz (amtlich)
1. Die Verzögerungsrüge ist grundsätzlich tatbestandliche Voraussetzung dafür, in einem gesonderten Verfahren einen Entschädigungsanspruch geltend machen zu können (vgl Weselski, jurisPR-SozR 9/2016 Anm 6).
2. Ermittlungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen im PKH-Verfahren rechtfertigen - wenn überhaupt - nur in besonderen Fallkonstellationen die Nichtbearbeitung des Hauptsacheverfahrens.
3. Bei Ansprüchen nach § 198 GVG sind unbezifferte Anträge grundsätzlich zulässig. Allerdings müssen nicht nur die tatsächlichen Grundlagen, sondern auch die Größenordnung des geltend gemachten Betrages so genau wie möglich angeben werden.
4. Zumindest die Verurteilung zu einem bis zu 50 % höher liegenden Betrages als die Mindestforderung des Klägers ist zulässig.
Orientierungssatz
1. Das Sozialgericht hat grundsätzlich einen Zeitraum von zwölf Monaten zur Verfügung, um die Rechtslage zu prüfen.
2. Das Studium der Verwaltungsakte durch den Richter fällt in die allgemeine Vorbereitungszeit; ihre Beiziehung führt nicht zu einer besonderen tatsächlichen Komplexität des Falles.
3. Während des Zuwartens auf Stellungnahmen kann eine weitere Bearbeitung des Gerichtsverfahrens durch das Gericht möglich und auch notwendig sein.
4. Ein Hauptsacheverfahren kann zumindest dann nicht bearbeitet werden, wenn der Kläger zulässigerweise die Erhebung der Klage von der Bewilligung der Prozesskostenhilfe abhängig gemacht hat (hier verneint wegen unbedingter Klageerhebung).
5. Der Senat hat eine Verzögerung im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens nicht zu prüfen, wenn zu diesem Streitgegenstand kein Verfahren anhängig ist.
6. Die Klagefrist des Art 23 S 6 ÜberlVfRSchG, wonach eine Entschädigungsklage spätestens am 3.6.2012 erhoben sein musste, ist weder unmittelbar noch analog auf Gerichtsverfahren anzuwenden, die in der Rechtsmittelinstanz weiterhin anhängig waren.
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.800,00 Euro nebst Zinsen ab dem 14. Februar 2014 in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.
Der Beklagte trägt die Gerichtskosten und die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf 1.800,00 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger begehrt eine Entschädigung aufgrund der Länge eines sozialgerichtlichen Verfahrens.
Am 19. Februar 2007 erhob der Kläger in dem Ausgangsverfahren (S 14 V 9/07) wegen eines Berufsschadensausgleichs gem. §§ 30 Abs. 3 ff Bundesversorgungsgesetz Klage und beantragte Prozesskostenhilfe. Mit einem am 8. März 2007 eingegangenen Schreiben begründete er die Klage. Dieser Schriftsatz wurde dem Beklagten zur Stellungnahme übersandt. Mit einem Schriftsatz vom 21. März 2007 nahm der Beklagte hierzu Stellung. Dieser Schriftsatz wurde wiederum dem Kläger zur Kenntnis und freigestellten Stellungnahme übersandt. Am 16. April 2007 erfolgten weitere Ausführungen durch den Kläger selbst, die unter dem 20. April 2007 dem Beklagten übersandt wurden. Am 28. August 2007 forderte das Sozialgericht den Kläger zur Vorlage von Kontoauszügen für die Zeit vom 1. Juni 2007 bis einschließlich August 2007 auf.
Mit einem Schreiben vom 5. September 2007 bat der Kläger um Nachricht, ob das Verfahren in Bearbeitung sei. Er habe bereits in einem vorherigen Verfahren zehn Jahre warten müssen. Unter dem 10. September 2007 wies das Sozialgericht Magdeburg darauf hin, dass eine Entscheidung noch nicht absehbar sei. Mit einem Schreiben vom 16. Oktober 2007 teilte das Sozialgericht weiter mit, dass die Verfahrensakte eines Parallelverfahrens des Klägers beigezogen worden sei und ggf. eingesehen werden könne. Daraufhin bat der Beklagte mit Schreiben vom 22. Oktober 2007 um Einsichtnahme, die ihm unter dem 26. Oktober 2007 gewährt wurde.
Am 31. März 2008 erinnerte das Sozialgericht den Kläger an die Vorlage der Kontoauszüge zur Prüfung des Antrages auf Prozesskostenhilfe. Diese gingen am 5. Mai 2008 für den Zeitraum vom 21. November 2007 bis 20. April 2008 beim Sozialgericht ein. Am 2. Oktober 2008 beantragte der Kläger wegen des Wechsels seines Prozessbevollmächtigten ein weiteres Mal Prozesskostenhilfe. Daraufhin forderte das Sozialgericht erneut zur Vorlage der vollständigen Kontoauszü...