Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. neurotische Störung mit dissoziativen Krampfanfällen. somatoforme Schmerzstörung. Versorgungsmedizinische Grundsätze. keine Vergleichbarkeit mit epileptischen Anfällen

 

Leitsatz (amtlich)

Bei der Bewertung des GdB für eine neurotische Erkrankung mit dissoziativen Krampfanfällen und somatoformer Schmerzstörung darf nicht auf den Bewertungsrahmen für Epilepsie (Teil B 3.2 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze) zurückgegriffen werden, obwohl sich das äußere Erkrankungsbild beider Erkrankungen ähneln kann. Denn anders als bei einer Epilepsie, bei der Krampfanfälle durch willentliche Kräfte unbeeinflussbar und plötzlich auftreten, kann der Betroffene bei dissoziativen Anfällen durch ein psychotherapeutisch geschultes Vermeideverhalten die Anfallshäufigkeit verringern oder sogar Anfälle ganz vermeiden.

 

Orientierungssatz

Zur Feststellung des Grads der Behinderung (GdB) nach den in der Anlage zu § 2 VersMedV geregelten Versorgungsmedizinischen Grundsätzen Teil B Nr 3.7 (psychische Störung), Teil B Nr 18.9 (Wirbelsäulenschaden), Teil B Nr 9.3 (Bluthochdruck) und Teil B Nr 18.13 (teilweise Verlust des Zeigefingers).

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 11. Mai 2010 wird aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Umstritten ist noch die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80 ab November 2006.

Der am ... 1958 geborene Kläger beantragte erstmals am 1. Juli 1999 die Feststellung von Behinderungen nach dem Schwerbehindertengesetz und die Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises wegen Funktionseinschränkungen der Wirbelsäule sowie eines Teilverlustes des rechten Zeigefingers. Nach medizinischen Ermittlungen stellte der Beklagte zunächst mit Teilbescheid vom 23. März 2000 einen GdB von 20 und mit Bescheid vom 7. September 2000 ab Mai 2000 einen GdB von 30 fest.

Ein Neufeststellungsantrag des Klägers führte nach medizinischen Ermittlungen zum Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 10. August 2001. Nach einem weiteren Neufeststellungsantrag vom 8. April 2004 führte der Beklagte medizinische Ermittlungen durch. In einem beigefügten Arztbrief berichtete der Chefarzt der neurologischen Klinik des Fachkrankenhauses B. Dr. E. am 8. Januar 2004 über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 12. bis 26. November sowie vom 5. Dezember bis 17. Dezember 2003. Hiernach habe der Kläger seit Anfang November 2003 über zunehmende Schmerzen im Schulter-Nacken-Bereich sowie in den Händen geklagt. Wegen einer Angst- und Panikattacke sei der Kläger im Dezember 2003 erneut stationär aufgenommen worden. In einem Befundschein vom 2. August 2004 berichtete die Nervenärztin Dr. R. Die Gedanken des Klägers kreisten nur noch um seine Krankheit und seine Schmerzen, die Lebensinhalt geworden seien, wobei ein massives Kränkungserleben auffällig sei. In den letzten Wochen sei es wiederholt zu Zitteranfällen am ganzen Körper gekommen, was zu diversen Notarzteinsätzen sowie einer stationären Aufnahme im Krankenhaus B. geführt habe. Im Vordergrund stünde eine Anpassungsstörung mit somatoformer sowie dissoziativer Symptomatik. Zusätzlich sei von einer Angst- und Panikstörung, jedoch nicht von einer Epilepsie auszugehen. Der Vertragsarzt des Beklagten Dr. B. wertete diesen Befund aus und hielt einen Gesamt-GdB von 30 für sachgerecht. Dem folgend lehnte der Beklagte eine Erhöhung des GdB ab. In dem dagegen gerichteten Widerspruch vom 23. Februar 2005 machte der Kläger geltend, der Beklagte habe seine seit November 2003 aufgetretenen Anfälle nicht hinreichend berücksichtigt.

Der Beklagte zog weitere Arztbriefe des Fachkrankenhauses B. vom 2. März, 24. März, 27. Juli, 9. August und 29. November 2004 sowie ein sozialmedizinisches Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 22. Dezember 2004 bei. Der Chefarzt der Klinik für Neurologie des Fachkrankenhauses B. Dr. F. teilte unter dem 14. März 2004 (stationärer Aufenthalt vom 10. bis 19. März 2004) mit: Das ganze Sein des Klägers drehe sich um seine Krankheit, die Lebensinhalt geworden sei. Eine Reflektion des stetig spürbaren schweren Kränkungserlebens könne er nicht zulassen. Die Fixierung erscheine massiv und stehe im Zusammenhang zu einem laufenden sozialgerichtlichen Rentenverfahren mit hochkomplexer Psychodynamik. Diagnostisch bestehe eine somatoforme Schmerzstörung sowie eine Konversionsstörung und eine Anpassungsstörung. Chefarzt Dr. E. teilte zu einem weiteren stationären Aufenthalt des Klägers in der Fachklinik vom 1. bis 8. Juli 2004 mit, es sei bei ihm zu ca. 20 Notarzteinsätzen und mehrfachen Einsätzen im Rahmen eines dringlichen Hausbesuchsdienstes gekommen. Der Kläger sei weiterhin nicht bereit, die Psychogenese seiner Beschwerden zu akzeptieren, so dass kein Ansatz für eine stationäre bzw. ambulante psychotherapeutische Behandlung bestehe. ...

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