Entscheidungsstichwort (Thema)

Entschädigungsklage wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Entscheidung, ob und welche Frist einem Sachverständigen zu setzen ist und wann er wie an die Erstellung des Gutachtens zu erinnern ist, handelt es sich um eine Maßnahme der materiellen Verfahrensleitung, die in den Kernbereich der richterlichen Unabhängigkeit fällt.

2. Auch die Entscheidung des Gerichts, im Hinblick auf die zu erwartenden medizinischen Erkenntnisse aufgrund einer ausstehenden Begutachtung des Klägers im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens sowie eines Parallelverfahrens zunächst nicht weitere Maßnahmen zur Verfahrensförderung zu ergreifen, unterliegt grundsätzlich seiner Entscheidungsprärogative und ist - mit Ausnahme unvertretbarer oder schlechthin unverständlicher Wartezeiten - durch das Entschädigungsgericht grundsätzlich nicht als Verfahrensverzögerung zu bewerten.

3. Eine besondere Schwierigkeit des Verfahrens kann auch auf dem Umfang der Akten des Verfahrens (700 Seiten) sowie eines für das Verfahren relevanten Parallelverfahrens (400 Seiten Akteninhalt) und der Vielzahl von Anträgen des Klägers beruhen.

 

Normenkette

GVG § 198; SGG § 106 Abs. 2

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 02.02.2024; Aktenzeichen B 10 ÜG 3/23 B)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 11.784,11 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt vom Beklagten eine Entschädigung aufgrund der behaupteten überlangen Dauer eines Berufungsverfahrens beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt ( L 1 R 180/16 ).

Am 3. Dezember 2013 ging die von der Schwester des Klägers als Prozessbevollmächtigte gefertigte Klageschrift am Sozialgericht (SG) Dessau-Roßlau ein, mit der der Kläger die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung begehrte. Das SG übersandte am 10. Dezember 2013 der beklagten Rentenversicherung eine Abschrift und forderte zugleich den Kläger zur Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht sowie zur ausgefüllten Rückgabe eines beigefügten Fragebogens auf. Noch im selben Monat beantragte die Rentenversicherung Klageabweisung. Dieser Schriftsatz wurde dem Kläger am

10. Januar 2014 zur Kenntnisnahme übersandt.

Am 23. Januar 2014 (Eingang am Gericht) reichte die Rentenversicherung Unterlagen nach. Am 24. Januar 2014 erinnerte das SG an die Übersendung des Fragebogens nebst Schweigepflichtentbindung. Am 4. Februar 2014 begründete der Kläger die Klage weiter und fügte den ausgefüllten Fragebogen nebst Entbindungserklärung von der Schweigepflicht bei.

Am 14. Februar 2014 forderte das SG die Rentenversicherung hierzu zur Stellungnahme auf und holte zugleich mehrere Befundberichte ein. Die eingegangenen drei Befundberichte übersandte das SG am 27. März 2014 dem Kläger zur Kenntnis und der beklagten Rentenversicherung zur Kenntnis- und Stellungnahme. Diese setzte sich mit einem am 4. April 2014 am SG eingegangenen Schriftsatz mit der Argumentation des Klägers auseinander und beantragte weiterhin Klageabweisung. Diese Ausführungen erhielt der Kläger mit Schreiben vom 17. April 2014 zur Kenntnisnahme.

Am 8. Mai 2014 beantragte der Kläger Akteneinsicht, die das SG am selben Tag zu den üblichen Geschäftszeiten bewilligte. Diese erfolgte am 15. Mai 2014. Noch im selben Monat lud das SG den Rechtsstreit zu einem Erörterungstermin am 20. Juni 2014. Am 19. Mai 2014 rügte der Kläger die Dauer des Verfahrens im Sinne von § 198 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG). Diese Rüge nahm er im nachfolgenden Erörterungstermin zurück. Mit einem am 12. Juni 2014 eingegangenen Schriftsatz vertrat die Rentenversicherung die Auffassung, aus den übersandten Befundberichten ergäben sich keine neuen Erkenntnisse. Beigefügt war eine Stellungnahme des Prüf- und Gutachterarztes. Diese wurde dem Kläger zur Kenntnis gegeben.

Das Gericht erhob am 24. Juni 2014 Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens von Dr. B. Dieses ging am 9. Oktober 2014 am SG ein. Das SG übersandte es am 13. Oktober 2014 den Beteiligten zur Stellungnahme. Eine Woche später ging am SG ein 11 Seiten langer Schriftsatz des Klägers ein. Dieser enthielt rechtliche Ausführungen und Sachverhaltsdarlegungen. Beigefügt waren Anlagen, die rund 20 Seiten umfassten. Diese Schriftstücke gab das SG am 20. Oktober 2014 der Rentenversicherung zur Kenntnis und forderte am 22. Oktober 2014 den Sachverständigen zur vollständigen Übersendung aller überlassenen Unterlagen auf. Zeitgleich ging die noch fehlende Verwaltungsakte am Gericht ein.

Am 4. November 2014 reichte der Kläger ein Gutachten eines anderen Sozialversicherungsträgers zu seinem Leistungsvermögen ein. Dieses übersandte das Gericht der Rentenversicherung zur Kenntnisnahme und erinnerte diese mit Schreiben vom 4. Dezember 2014 an die Beantwortung des Schreibens vom 13. Oktober 2014. Die beklagte Rentenversicherung legte mit einem am 18. Dezember 2014 eingegangenen Schriftsatz dar, dass sich der Vorgang noch zur Begutachtung beim Sozi...

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