Robert Kayser, Monique Watgen
Rz. 72
Solange die Ehe dauert, teilen sich die beiden Eheleute das Sorgerecht für ihre gemeinsamen minderjährigen Kinder. Bei einer Scheidung können die Eltern sich verständigen, wem von ihnen während und nach der Scheidung das Sorgerecht zugesprochen werden soll. Seit der Reform von 2018 ist jedoch das Prinzip fest verankert, dass die Eltern gemeinsam das elterliche Sorgerecht ausüben (Art. 375 CC). Die Eltern des Kindes haben die gleichen Rechte und Pflichten gegenüber ihrem Kind und dessen Vermögen, unabhängig davon, ob sie zusammenleben, getrennt oder geschieden sind. Daher verhält es sich so, dass die Eltern gemeinsam die wichtigen Entscheidungen bezüglich ihrer Kinder treffen wie z.B. die Wahl des Wohnsitzes der Kinder, der Schule, der medizinischen Betreuung, der außerschulischen Aktivitäten usw.
Wird jedoch die Abstammung in Bezug auf den zweiten Elternteil des Kindes gerichtlich festgestellt, so bleibt der Elternteil, in Bezug auf den die Abstammung zuerst festgestellt wurde, für die Ausübung der elterlichen Sorge allein verantwortlich. Die geschiedenen Eltern können auch entscheiden, einem Dritten, z.B. den Großeltern oder einem Kinderheim, das Sorgerecht zu übertragen. Können sich die Eltern nicht einigen, muss das Gericht eine Entscheidung im Sinne des Kindeswohls treffen. Das Gericht kann in diesem Zusammenhang auch die Kinder nach ihrem Wunsch befragen, bei welchem Elternteil sie verbleiben möchten.
Rz. 73
Im Falle einer Trennung können sich die Eltern über die Modalitäten der Ausübung der elterlichen Sorge, des Wohnsitzes und des Aufenthaltsortes einigen. Falls es zu keiner Einigung zwischen den Eltern kommt, entscheidet der Familienrichter gemäß dem Kindeswohl und bestimmt den Wohnort des Kindes:
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Entweder wird der Wohnsitz des Kindes bei einem der Elternteile festgelegt, in diesem Fall wird dem anderen Elternteil das Besuchs- und Beherbergungsrecht gewährt, es sei denn, es liegen schwerwiegende Gründe vor, die dagegen sprechen, |
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oder der Wohnsitz wird abwechselnd am Wohnsitz jedes Elternteils festgelegt (Art. 378–1 CC), in diesem Fall prüft der Richter, ob ein alternierender Wohnsitz dem Kindeswohl entspricht. Der alternierende Aufenthalt erfordert nicht unbedingt eine strikt gleiche Aufteilung der Aufenthaltszeit des Kindes in der Wohnung jedes Elternteils. |
Wie oben erwähnt, genießt der Ehepartner, dem das Sorgerecht nicht zugesprochen wird, ein Besuchsrecht seiner Kinder sowie ein Beherbergungsrecht. Wenn die Ehegatten keine Einigung finden bezüglich des Besuchs- und Beherbergungsrechts, richtet sich die richterliche Entscheidung nach dem Kindeswohl. Grundsätzlich hat ein Ehegatte einen Anspruch auf ein minimales Besuchsrecht seiner Kinder sowie ein Beherbergungsrecht an jedem zweiten Wochenende im Monat und während der Hälfte der Schulferien, außer dieses Umgangsrecht entspräche nicht dem Kindeswohl. Auch den Großeltern der Kinder kann ein beschränktes Besuchsrecht zugestanden werden. Dem Elternteil, dem das Sorgerecht nicht zugesprochen wurde, steht ein Kontrollrecht zu über die Art und Weise, wie sein in Scheidung lebender oder geschiedener Ehepartner das Sorgerecht ausübt. Dies gilt besonders in schulischen Fragen.
Rz. 74
Das vom Scheidungsgericht ausgesprochene Urteil über das Sorgerecht minderjähriger Kinder ist nicht unbedingt endgültig. Es kann zu einem späteren Zeitpunkt vom Familienrichter zugunsten des anderen Elternteils geändert werden. Dies gilt, wenn die geschiedenen Eltern sich über eine solche Änderung einigen, oder infolge eines gerichtlichen Antrags des Elternteils, der das Sorgerecht nicht ausübt. Der Kläger muss dem Gericht schlüssig nachweisen, dass er selbst besser in der Lage ist, künftig das Sorgerecht auszuüben.
Rz. 75
Seit der Reform von 2018 besteht für jeden Elternteil eines minderjährigen Kindes die Möglichkeit, seinem Ehepartner oder Partner im Sinne des abgeänderten Gesetzes vom 9.7.2004, mit dem er dauerhaft zusammenwohnt, eine Vollmacht für die tägliche Erziehung (Art. 276–5 CC) zu erteilen. Die Voraussetzung für die Erteilung einer solchen Vollmacht ist die Zustimmung des anderen Elternteils des Kindes. Diese Vollmacht erlaubt es den Ehegatten oder Partnern der Eltern, die üblichen Handlungen der gemeinsamen elterlichen Autorität vorzunehmen. Ziel dieser Vollmacht ist es, das tägliche Leben einer Patchworkfamilie zu erleichtern (z.B. ein Kind aus der Kinderkrippe abzuholen oder einen Schulausflug zu genehmigen). Es gibt keine Definition, was unter üblichen Handlungen zu verstehen ist; die Beurteilung im Falle eines Rechtsstreits liegt im Ermessen des Familienrichters. Die Vollmacht, die durch eine privatschriftliche oder notarielle Urkunde ausgestellt wird, ermöglicht es, die üblichen Handlungen der elterlichen Autorität für die Dauer des gemeinsamen Zusammenlebens vorzunehmen. Die Vollmacht kann jederzeit durch den Vollmachtgeber widerrufen werden und endet automatisch im Falle der Beendigung des Zusammenlebens, des Todes des Bevollmächtigten oder des Vollmach...