Leitsatz
An der Rechtsprechung zur Verwirkung eines Rechts zur fristlosen Kündigung wegen eines Sachmangels in entsprechender Anwendung des § 539 BGB a. F. (vgl. Senatsurteil vom 31. Mai 2000 – XII ZR 41/98 – NJW 2000, 2663) wird unter dem seit 1. September 2001 geltenden Mietrecht nicht mehr festgehalten. Mit dem Mietrechtsreformgesetz ist die Grundlage für eine analoge Anwendung des § 539 BGB a. F./§ 536b BGB entfallen (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 16. Februar 2005 – XII ZR 24/02 – NZM 2005, 303 zur Frage des Minderungsrechts). (amtlicher Leitsatz des BGH)
Normenkette
BGB § 543
Kommentar
Die Parteien hatten im Jahr 1995 einen Mietvertrag über ein gewerblich genutztes Gebäude abgeschlossen. Das Mietverhältnis war bis zum Ende des Jahres 2005 befristet. Im Juli 2001 und November 2001 hat der Mieter jeweils angezeigt, dass bei starken Regenfällen Niederschlagswasser über eine undichte Stelle im Dach in das Gebäude eindringt. Trotz dieses Mangels hat der Mieter die Miete vorbehaltlos in voller Höhe weiter bezahlt. Im Juli 2002 – also ca. ein Jahr nach der Mängelanzeige – hat der Mieter das Mietverhältnis fristlos gekündigt. Das Berufungsgericht hat die Ansicht vertreten, dass das Kündigungsrecht verwirkt ist.
Der BGH ist anderer Ansicht:
Der Mieter ist zur fristlosen Kündigung berechtigt, wenn ihm der Mietgebrauch nach Überlassung der Mietsache ganz oder zum Teil entzogen wird (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 BGB). Ein solcher Fall ist auch dann gegeben, wenn der Gebrauch der Mietsache infolge eines Mangels beeinträchtigt wird. Die Kündigungsbefugnis ist (neben der Minderungsbefugnis) Teil der dem Mieter zustehenden Gewährleistungsrechte. Bis zum Inkrafttreten des Mietrechtsreformgesetzes im September 2001 entsprach es obergerichtlicher Rechtsprechung, dass der Mieter seine Gewährleistungsrechte verliert, wenn er die Miete trotz eines Mangels vorbehaltlos weiterbezahlt. Diese Rechtsfolge wurde aus einer analogen Anwendung des § 539 BGB a. F. hergeleitet. Das Mietrechtsreformgesetz hat die Gewährleistungsrechte des Mieters neu geregelt. Für die Wohnraummiete hat der VIII. Senat entschieden, dass das Minderungsrecht des Mieters durch die Fortzahlung der vollen Miete nicht verlorengeht (BGH, Urteil v. 16.7.2003, VIII ZR 274/02). Dieser Ansicht hat sich der für die Gewerbemiete zuständige XII. Senat angeschlossen (BGH, Beschluss v. 16.2.2005, XII ZR 24/02).
In der nunmehr vorliegenden Entscheidung stellt der BGH klar, dass für das Kündigungsrecht nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 BGB dieselben Grundsätze gelten: Durch die rügelose Fortzahlung der Mieter geht das Kündigungsrecht nicht verloren. Die allgemein geltenden Grundsätze der Verwirkung und des stillschweigenden Verzichts bleiben unberührt. Die bloße Untätigkeit des Mieters reicht für die Annahme eines Rechtsverlustes nicht aus. Ein Rechtsverlust ist nur dann anzunehmen, wenn weitere Umstände vorliegen, aus denen sich ergibt, dass der Mieter von seinen Rechten keinen Gebrauch machen will.
Link zur Entscheidung
BGH, Urteil vom 18.10.2006, XII ZR 33/04