Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Leitsatz
Mangels Anfechtung bestandskräftig gewordene Mehrheitsbeschlüsse über Änderungen der Gemeinschaftsordnung (speziell zur Änderung des Kostenverteilungsschlüssels, zu Bestimmungen über die Genehmigung baulicher Veränderungen und über Hausordnungsvorschriften) sind nicht nichtig!
Normenkette
§ 10 Abs. 1 WEG, § 15 WEG, § 16 Abs. 2 WEG, § 22 Abs. 2 WEG, § 23 WEG
Kommentar
1. Die Veräußerung eines Wohnungseigentums durch einen Antragsgegner hat auf seine Stellung als Verfahrensbeteiligter keinen Einfluss; § 265 ZPO ist entsprechend anzuwenden; der Veräußerer führt hier das Verfahren in Verfahrensstandschaft für den neuen Rechtsträger (Rechtsnachfolger) fort; die rechtskräftig gewordene Entscheidung wirkt auch für und gegen Erwerber ( § 45 Abs. 2 Satz 1 WEG; § 325 Abs. 1 ZPO entsprechend; h.M.).
2. Ein erstmals im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellter Hilfsantrag ist unzulässig; im Rechtsbeschwerdeverfahren können grundsätzlich keine neuen Sachanträge gestellt werden ( § 27 Abs. 1 Satz 1 FGG; § 561 Abs. 1 ZPO; h.M. - vgl. BayObLG, ZMR 99, 56/58).
3. Im vorliegenden Fall war ein Umbau eines Antragsgegners zutreffenderweise vom LG als bauliche Veränderung des Gemeinschaftseigentums angesehen worden, die der Zustimmung aller Eigentümer bedarf, deren Rechte durch die Veränderung über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinaus beeinträchtigt werden. Die Stellung eines Beseitigungs- und Wiederherstellungsanspruchs ( § 1004 Abs. 1 BGB; § 15 Abs. 3 WEG und § 14 Nr. 1 WEG) setzt das Bestehen einer solchen Beeinträchtigung voraus; in diesem Fall kann Beseitigung vom Antragsgegner als Handlungsstörer gefordert werden (BayObLG, WM 1998, 175/176; Palandt/Bassenge, BGB-Kommentar, 59. Aufl. § 1004 Rn. 17, 21).
Von der Gemeinschaft wurde allerdings durch bestandskräftigen Mehrheitsbeschluss in Änderung der Gemeinschaftsordnung die vorgenommene bauliche Veränderung genehmigt. Weiterhin wurde die Gemeinschaftsordnung auch im vereinbarten Kostenverteilungsschlüssel durch bestandskräftigen Beschluss geändert, ebenso hinsichtlich bestimmter Gebrauchs- und Hausordnungsregelungen.
Eigentümerbeschlüsse dieses Inhalts (als Änderung der Gemeinschaftsordnung- Vereinbarung) hat der Senat im Anschluss an die Rechtsprechung des BGH für wirksam erachtet, wenn sie nicht angefochten und daher bestandskräftig wurden (vgl. zur Abänderung des Kostenverteilungsschlüssels BGHZ 127, 99/103; BayObLGZ 96, 256/257 und ZMR 99, 778/779; zur Genehmigung baulicher Veränderungen BayObLG, NZM 2000, 672/673 und BayObLGZ 89, 437/438; vgl. auch BGHZ 131, 346/352; zu Gebrauchsregelungen BGHZ 129, 329/332; BayObLGZ 75, 201/204 und 91, 421/422); der Senat hält an dieser Meinung fest und bejaht auch im vorliegenden Fall die Wirksamkeit der neuerlich beschlossenen Gemeinschaftsordnung.
4. Die Gemeinschaftsordnung, die eine Summe von Vereinbarungen im Sinne von § 10 Abs. 1 Satz 2 WEG darstellt, kann auch ihrerseits wieder durch Vereinbarung abgeändert werden. Die Regelungen der Gemeinschaftsordnung und abdingbare Vorschriften des WEG können aber auch durch Mehrheitsbeschluss abgeändert werden, wenn dieser nicht angefochten und deshalb bestandskräftig wird. Dies ergibt sich aus § 23 Abs. 4 WEG, weil nach dieser Vorschrift allein solche Beschlüsse unwirksam sind, die entweder gem. § 43 Abs. 1 Nr. 4 WEG für ungültig erklärt sind, oder die gegen zwingende Rechtsvorschriften verstoßen (BGHZ 54, 65/69; BayObLG, NJW 95, 202/203 m.w.N. und st. Rspr.). Der neuerdings in der Literatur vertretenen Ansicht, vereinbarungs- oder gesetzesändernde Mehrheitsbeschlüsse seien wegen fehlender Beschlusskompetenz der Eigentümerversammlung nichtig (Wenzel, Festschrift für Hagen, S. 231/240 und NZM 2000, 257/260; Buck, WE 98, 90/92 und NZM 2000, 645; Merle, ZWE 2000, 145; Bärmann/Merle, WEG, 8. Aufl. § 23 Rn. 160a, 160b; Häublein, ZMR 2000, 423/428; Bielefeld, DWE 99, 144/145; KG Berlin, FG Prax 2000, 16/17 zur Einräumung eines Sondernutzungsrechts) vermag der Senat nicht zu folgen. Der Grundsatz, dass die Wohnungseigentümer ihr Verhältnis untereinander durch Vereinbarung regeln (§ 10 Abs. 1 Satz 2 WEG, § 23 Abs. 1 WEG), ist nicht als zwingend im Sinne von § 23 Abs. 4 Satz 2 WEG anzusehen. Er wird vielmehr durch § 23 Abs. 4 WEG für den Fall durchbrochen, dass ein unter Verstoß dagegen gefasster Mehrheitsbeschluss nicht angefochten und für ungültig erklärt wird (BGHZ 54, 65/69 und 127, 99/103; Demharter, WM 2000, 291/293; Deckert, NZM 2000, 361/362 und NZM 2000, 646; Müller, NZM 2000, 648; Niedenfür, NZM 2000, 465/466; Rapp, DNotZ 2000, 185/192). § 23 Abs. 4 WEG gilt seinem Wortlaut nach für sämtliche Beschlüsse der Eigentümer; eine Beschränkung auf solche Eigentümerbeschlüsse, die sich im Rahmen der Beschlusskompetenz der Eigentümergemeinschaft halten, kann der Vorschrift nicht entnommen werden.
Die von der neuen Rechtsansicht vertretene Unterscheidung zwischen vereinbarungs- oder gesetzesändernden Eigentümerbeschlüssen, die nichtig seien und keiner Anfechtung bedürften, ...