Dr. Wolf-Dietrich Deckert†
Leitsatz
(Hinweis des Verwalters auf Allstimmigkeitserfordernis; Probeabstimmung; Verkündung und Protokollierung eines Beschlusses)
Normenkette
§ 22 WEG, § 23 WEG, § 24 WEG, § 25 WEG
Kommentar
1. Ob die Wohnungseigentümerversammlung über eine die Allstimmigkeit erfordernde bauliche Veränderung einen nur bei rechtzeitiger Anfechtung ungültigen Mehrheitsbeschluss (BGH Z 64, 66) gefasst hat oder ob eine rechtlich folgenlose Probeabstimmung zur Erforschung des Meinungsbildes vorliegt, hängt maßgeblich davon ab, mit welchen Vorgaben des Versammlungsleiters der Abstimmungsvorgang veranstaltet worden ist.
Es ging bei der betreffenden Beschlussfassung um den Kauf und die Aufstellung eines Gerätehauses. Protokolliert wurde:
Abstimmung: 19 Ja-Stimmen
10 Gegenstimmen
0 Enthaltungen
Ergebnis: Antrag angenommen
Protokollnotiz: Vor Beschlussfassung hat die Verwaltung auf die notwendige allstimmige Beschlussfassung hingewiesen.
Nach Meinung des Senats ist der objektive Protokollinhalt widersprüchlich, sodass er in tatsächlicher Hinsicht noch weiterer Aufklärung bedarf. Es sei aufgrund der "Protokollnotiz" schwer verständlich, weshalb es überhaupt noch zu einer Abstimmung gekommen sei, da die Verwaltung eine Stimmrechtsweisung zu einem Nein-Votum besaß. Entweder sollte angesichts der Aussichtslosigkeit der Beschlussfassung zunächst ein Meinungsbild der anwesenden Eigentümer beschafft werden (sog. Probeabstimmung) oder aber Eigentümer forderten trotz des rechtlichen Hinweises der Verwaltung Abstimmung und protokollarische Feststellung des Abstimmungsergebnisses. Fraglich sei, ob der Verwalter lediglich das Ergebnis der Stimmenauszählung und damit das Nichterreichen der notwendigen Allstimmigkeit verlautbart oder aber ob er das positive Zustandekommen eines Mehrheitsbeschlusses verkündet habe. Die Verkündung des Beschlussantrages bleibe jedoch nach dem Protokollinhalt offen. "Ergebnis: Antrag angenommen" könne auch bedeuten, dass bei späterem Aufsetzen des Protokolls die nachträgliche rechtliche Wertung vorgenommen worden sei, dass angesichts der dokumentierten Stimmverhältnisse der Beschlussantrag mehrheitlich angenommen worden sei.
2. Falls der Versammlungsleiter zu einem Tagesordnungspunkt zwar vorweg die allstimmige Annahme als Voraussetzung des Zustandekommens festlegt, jedoch im Widerspruch dazu später die Annahme eines Mehrheitsbeschlusses verkündet, so kann die Ungültigkeit nur durch rechtzeitige gerichtliche Anfechtung geltend gemacht werden.
Zur Wirksamkeit einer Beschlussfassung bedarf es nach offensichtlicher Auffassung des BGH (BGH Z 54, 65) nicht der ausdrücklichen Verkündung der Annahme eines Beschlussantrages. Ein Beschluss, welcher der Einstimmigkeit bedarf, ist i. ü. unwirksam und der zugrunde liegende Antrag abgelehnt, wenn sich die Wohnungseigentümer bei der Abstimmung bewusst sind, dass der Gegenstand der Abstimmung der Einstimmigkeit bedarf (OLG Hamburg, DWE 1984, 123), wobei hier sogar ein Nichtbeschluss angenommen werden könnte (BayObLG Z 1984, 213). Dies gelte umso mehr, wenn der Versammlungsleiter auch noch erklärt habe, dass ein Beschluss nicht zustande gekommen sei (OLG Frankfurt, WE 1986, 135).
Im vorliegenden Fall sei deshalb noch vom Tatsächlichen her die Klärung erforderlich, ob die Eigentümer nach den Vorgaben des Versammlungsleiters mit dem Bewusstsein in die Abstimmung gingen, dass ein Beschluss nur bei allstimmiger Zustimmung zustande komme. Auch die Verkündungsfrage sei noch offen, auf die es im vorliegenden Fall ausnahmsweise aus Rechtssicherheitsgründen ankomme.
Link zur Entscheidung
( KG Berlin, Beschluss vom 18.03.1992, 24 W 6007/91= NJW-RR 12/92, 720)
zu Gruppe 5: Rechte und Pflichten der Miteigentümer
Anmerkung:
Der vorliegende Fall unterstreicht die meinerseits stets vertretene Auffassung, dass zum einen neben der Stimmenauszählung über einen gestellten Antrag vom Versammlungsleiter in jedem Fall auch sofort das Ergebnis in gewisser rechtlicher Würdigung verkündet und auch im Sinne dieser tatsächlichen Äußerungen wahrheitsgetreu protokolliert werden sollte (also z. B. "damit ist der Antrag angenommen" und somit rechtlich von einem Beschluss auszugehen oder "damit ist der Antrag abgelehnt" - kein Beschluss -).
Zum anderen empfehle ich stets auch, dass der Verwalter bei an sich erforderlicher Allstimmigkeit auf diesen rechtlichen Umstand vor einer Abstimmung (schon aus eigenen Exkulpationsgründen) und auf die Tatsache beabsichtigter "Zitterbeschlussfassung" vor der Abstimmung hinweisen sollte.
Im vorliegenden Fall hätte m. E. schon nach dem dargestellten Sachverhalt die Angelegenheit nicht im Sinne der "Bewusstseinsrechtsprechung" weiter problematisiert werden müssen. Der Verwalter hat hier korrektermaßen vor Abstimmung auf das Allstimmigkeitsgebot bei diesem nachteiligen baulichen Veränderungsbeschluss hingewiesen. Dennoch kam es zu einer Abstimmung wohl aufgrund eines Eigentümerantrages, sodass der Versammlungsleiter auch den geforderten Abstimmungsvorgang durchführen musste. Dass es sich nur um ein...