Einer der zentralen Nebenpflichten jedes Arbeitsverhältnisses ist die Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach § 241 Abs. 2 BGB. Hiernach sind die Arbeitsvertragsparteien dazu verpflichtet, Rücksicht auf die Interessen der anderen Partei zu nehmen und den Vertragszweck zu fördern bzw. nicht zu gefährden. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann.[1]

Aus § 241 Abs. 2 BGB resultiert die Pflicht des Arbeitnehmers, bei der Äußerung seiner Meinung die Interessen und Rechtsgüter seines Arbeitgebers zu berücksichtigen. Das gilt grundsätzlich unabhängig davon, ob der Arbeitnehmer seine Meinung öffentlich, privat, betrieblich oder außerbetrieblich äußert.[2] Hiernach sind Arbeitnehmer insbesondere auch außerhalb der Arbeitszeit dazu verpflichtet, auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen. Durch ein rechtswidriges – ggf. auch strafbares – außerdienstliches Verhalten verstößt ein Arbeitnehmer gegen seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB, wenn es einen Bezug zu seinen arbeitsvertraglichen Verpflichtungen oder zu seiner Tätigkeit hat und er dadurch berechtigte Interessen des Arbeitgebers oder anderer Arbeitnehmer verletzt.[3]

 
Praxis-Beispiel

Holocaustleugnende Aussagen eines Mitarbeiters

Im Januar 2020 entschied das LAG Berlin-Brandenburg einen Fall, der holocaustleugnende Aussagen eines ranghohen Vertriebsmitarbeiters bei einem Abendessen mit potenziellen Kunden im Rahmen eines Kongresses betraf.[4] Die Aufgabe des Arbeitnehmers bestand darin, Kundenbeziehungen aufzubauen und zu pflegen. Konkret äußerte der Arbeitnehmer Zweifel daran, dass der Holocaust tatsächlich stattgefunden habe. Die Zweifel begründete er unter anderem mit der Behauptung, den "Kugelschreiber", mit dem Anne Frank ihr Tagebuch schrieb, habe es seinerzeit noch nicht gegeben. Einer der anwesenden potenziellen Kunden fühlte sich von diesen Aussagen stark betroffen. Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis zum Arbeitnehmer außerordentlich und fristlos. Die Kündigungsschutzklage wies das LAG Berlin-Brandenburg ab. Zur Begründung führte es aus, dass die Äußerungen eine erhebliche Pflichtverletzung seien, die an sich einen wichtigen Grund zur Kündigung bilden gem. § 626 Abs. 1 BGB. Der Arbeitnehmer habe seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers verletzt, indem er gegenüber potenziellen Kunden nationalsozialistische Verbrechen infrage stellte bzw. verharmloste. Dies gelte unabhängig davon, ob die Äußerungen von der Meinungsfreiheit gedeckt wären. Äußerungen, die ohne Weiteres geeignet sind, Kunden abzuschrecken, seien mit der Aufgabe, Kundenbeziehungen zu pflegen, nicht vereinbar.

Je weniger Meinungsäußerungen auf den Arbeitgeber "zurückfallen" können, desto weniger muss der Arbeitnehmer sich in der Äußerung seiner Meinung zügeln.

Das bedeutet beispielsweise, dass eine freie Äußerung im engen Familien- oder Freundeskreis dann tendenziell unkritischer ist, wenn die Beteiligten nicht vertraglich mit dem Arbeitgeber verbunden sind und sie die Meinung auch nicht weiterverbreiten. Zu erwarten, dass die geäußerte Meinung vertraulich ist und bleibt und daher nicht an den Arbeitgeber gelangt, ist im Bereich der Privatsphäre gerechtfertigt. Der Einzelne hat ein Recht auf die autonome Ausgestaltung des Privatlebens und muss daher nicht ständig damit rechnen, dass das, was er sagt, zu arbeitsrechtlichen Konsequenzen führt.[5] Insofern kann es selbst für Beleidigungen einen rechtlich geschützten Raum geben, in welchem sie der Einzelne folgenfrei äußern darf.[6] Können Dritte die Äußerung nicht wahrnehmen, gibt es auch kein schützenswertes Interesse des Arbeitgebers daran, dass der Arbeitnehmer sich der Äußerung seiner Meinung enthält.

 
Praxis-Beispiel

Kritik am Unternehmen während der Ausbildung

Mit Urteil vom 22.5.2024 entschied das Arbeitsgericht Berlin, dass der Ausbilder (Springer-Konzern) das Ausbildungsverhältnis in der Probezeit gemäß § 22 Abs. 1 BBiG mit dem Auszubildenden (Mediengestalter) kündigen durfte, auch wenn dieser sich darauf berief, er habe von seiner Meinungsfreiheit Gebrauch gemacht und die Kündigung verstoße gegen das Maßregelungsverbot gemäß § 612a BGB.

Das Verhalten des Klägers, das dem beklagten Unternehmen Anlass zur Kündigung gab, beruhte auf dem Umgang des Unternehmens mit dem beginnenden Gaza-Krieg Anfang Oktober 2023. Kurz nach den terroristischen Anschlägen der Hamas auf Israel hisste das Unternehmen auf dem Vorplatz seines Hauptsitzes eine Israelflagge und postete auf einem Internetauftritt einen Beitrag mit der Bekundung, dass das Unternehmen hinter Israel stehe. Der Kläger postete in einem unternehmensinternen sozialen Netzwerk ...

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