Rz. 97
Die Gesellschafterversammlung ist nach Art. 77 Satz 1 LGSM das oberste Organ der Gesellschaft. Sie ist nach Art. 78 LGSM für folgende Entscheidungen zwingend zuständig: Bestätigung der Jahresbilanz, Ausschüttung von Dividenden, Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern, Ernennung des Aufsichtsrats (falls anwendbar), Teilung oder Einziehung eines Geschäftsanteils, Schadensersatzforderungen gegen die Geschäftsführung oder Gesellschafter, Änderungen des Gesellschaftsvertrags, Abtretung von Geschäftsanteilen, Kapitalerhöhungen und -herabsetzungen, Auflösung und sonstige im Gesetz oder im Gesellschaftsvertrag vorgeschriebene Fälle. Die Gesellschafterversammlung muss nach Art. 80 LGSM mindestens einmal im Jahr zusammenkommen, um das Jahresergebnis zu bestätigen und über Dividenden zu entscheiden.
Rz. 98
Die Einberufung erfolgt nach Art. 81 Abs. 1 LGSM durch die Geschäftsführer und kann ebenfalls über das PSM erfolgen. Falls diese eine Einberufung unterlassen, kann der Aufsichtsrat, sofern ernannt, oder andernfalls die Gesellschafter mit einem Drittel des vertretenen Gesellschaftskapitals eine Versammlung einberufen.
Die Einberufung erfolgt nach Art. 81 Abs. 2 LGSM mittels Einschreiben gegen Empfangsbestätigung und mindestens acht Kalendertage vor der Versammlung, sofern der Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt.
Rz. 99
Gesellschafterbeschlüsse müssen nach Art. 77 Satz 1 LGSM bei der S. de R.L. mit einer absoluten Mehrheit von mindestens der Hälfte der Stimmen des Gesellschaftskapitals getroffen werden, sofern der Gesellschaftsvertrag kein höheres Quorum bestimmt. Kommt es in der ersten Gesellschafterversammlung nicht zu einer entsprechenden Mehrheit, werden Beschlüsse nach Art. 77 Satz 2 LGSM mit einfacher Mehrheit getroffen, soweit der Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt. In der Praxis problematisch ist das Nicht-Erscheinen eines Minderheitsgesellschafters, der so Beschlüsse wirksam blockieren kann. Die Einberufung sollte in diesem Fall nachgewiesen werden, um einer gerichtlichen Auseinandersetzung vorzubeugen.
Rz. 100
Gemäß Art. 79 LGSM gewähren je 1.000 MXN Geschäftsanteil eine Stimme, sofern der Gesellschaftsvertrag nichts anderes bestimmt. Letzterer kann außerdem Geschäftsanteile mit privilegierten Stimmrechten vorsehen.
Rz. 101
Die Gesellschafter können sich in der Versammlung nach der gewöhnlichen Vertretungsregelung durch einen Vertreter vertreten lassen. Hierzu ist eine Vollmachtsurkunde in Schriftform notwendig.
Rz. 102
Gesellschafterbeschlüsse können grundsätzlich formlos getroffen werden, wobei sich zu Beweiszwecken die Schriftform empfiehlt. Eine notarielle Beglaubigung (ratificación de firmas) oder gar Beurkundung (ratificación de firmas y contenido) ist nur in den gesetzlich bestimmten Fällen notwendig. Bei der S. de R.L. müssen die Beschlüsse nicht zwingend am Gesellschaftssitz getroffen werden, da es einer der Aktiengesellschaft in Art. 179 LGSM vergleichbaren Bestimmung bei der S. de R.L. fehlt. In der Praxis werden aus Gründen der Nachweisbarkeit weitaus mehr Gesellschafterbeschlüsse beglaubigt, als es das Gesetz vorsieht.
Rz. 103
Stark umstritten ist die Frage, ob Gesellschafterbeschlüsse zu Kapitalerhöhungen und -herabsetzungen des variablen Kapitals notariell zu beglaubigen sind. Das Gesetz verneint diese Frage in Art. 213 a.E. LGSM eigentlich eindeutig, da sowohl Erhöhung als auch Herabsetzung an keine weiteren Formerfordernisse gebunden sind als die Eintragung in das Gesellschaftsbuch für das Kapital und bei Herabsetzung zusätzlich die Veröffentlichung im PSM.
Rz. 104
Auch die Rspr. des mexikanischen obersten Bundesfinanzgerichts aus 2018 stützt diese Auffassung und stellt klar, dass Erhöhungen oder Herabsetzungen des Gesellschaftskapitals keiner notariellen Beglaubigung bedürfen.
Rz. 105
In einer höchst umstrittenen Entscheidung hat jedoch der oberste mexikanische Gerichtshof SCJN als höchstrichterliche Instanz einen Leitsatz aufgestellt, nach dem alle privatschriftlichen Dokumente das Kriterium des sicheren Datums, der sog. fecha cierta, erfüllen müssen, um dem Finanzamt zu ermöglichen, sicher festzustellen, dass das Steuersubjekt seine steuerlichen Verpflichtungen erfüllt.
Das in der Zivilrechtsdogmatik vieler spanischsprachiger Länder in verschiedener Ausprägung fest verankerte Kriterium der fecha cierta sei nach mexikanischer höchstrichterlicher Rspr. erfüllt, wenn ein privatwirtschaftliches Dokument
1. |
in ein Grundbuch oder das Handelsregister eingetragen wird, |
2. |
einem Notar oder öffentlichen Beamten vorgelegt wird |
3. |
oder sobald einer der Unterzeichner stirbt. |
Rz. 106
Das SCJN entwickelt in seinem Leitsatz daher das Kriterium der fecha cierta zur Gültigkeit privatwirtschaftlicher Dokumente vor Steuerbehörden, um "betrügerischen Absichten entgegenzuwirken", mit denen private Urkunden absichtlich bei Unterzeichnung mit einem falschen, in der Vergangenheit liegenden Datum versehen werden, um ein Rechtsgeschäft zeitlich zurückzudatieren. Es komme in der mexikan...