1 Leitsatz
Ein Gebrauchsentzug ist keine Regelung des Gebrauchs nach § 19 WEG. Der Gebrauchsentzug ist dem Mehrheitsprinzip von vornherein ebenso wenig zugänglich wie die Änderung einer Vereinbarung.
2 Normenkette
§ 18 WEG; § 935 ZPO
3 Das Problem
Wohnungseigentümerin K strebt den Erlass einer einstweiligen Verfügung an. Sie beantragt, dass der Beschluss, die Müllabwurfschächte zum 31.12.2023 stillzulegen bzw. zu schließen, bis zur Entscheidung über die von ihr erhobene Nichtigkeitsklage ausgesetzt wird. K hat 2 "Knietotalendoprothesen" (= das Kniegelenk ist vollständig durch ein künstliches Kniegelenk ersetzt), daher nur eingeschränkt gehfähig und ist außerdem zu 70 % schwerbehindert. Die Wohnungseigentumsanlage liegt an einem Hang. Das Haus, in dem die K lebt, ist ungefähr 100 Meter von der Müllsammelstelle der Liegenschaft entfernt. Die Strecke zu dem Müllsammelplatz ist von einer erheblichen Steigung geprägt. In der Wohnungseigentumsanlage bestehen seit deren Errichtung Müllschluck- und Komprimierungsanlagen, wobei jedes Haus über einen Müllschluckschacht verfügt.
4 Die Entscheidung
Der Antrag hat Erfolg! K habe einen Verfügungsgrund glaubhaft gemacht. Dies meine, dass der angefochtene Beschluss mit hoher Wahrscheinlichkeit keiner ordnungsmäßigen Verwaltung oder Benutzung entspreche. Ein Antragsteller müsse wesentliche Nachteile im Sinne von § 940 ZPO glaubhaft machen, die abgewendet werden müssten. Hierbei habe das Gericht zu bedenken, dass der Mechanismus des § 23 Abs. 4 Satz 1 WEG nicht zu leicht ausgehebelt werden dürfe, da dem Beschluss andernfalls die gesetzgeberisch grundsätzlich vorgesehene Bindungswirkung geraubt werde. Auch danach bestehe aber angesichts des Zustands der K und der Wahrscheinlichkeit, dass der Beschluss nichtig sei, ein Verfügungsgrund. K habe auch einen Verfügungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Beschluss widerspreche mit hoher Wahrscheinlichkeit einer ordnungsmäßigen Verwaltung. Bei den Müllschluckanlagen handele es sich um gemeinschaftliches Eigentum. Gemäß § 19 Abs. 1 WEG könnten die Wohnungseigentümer zwar eine ordnungsmäßige Verwaltung oder Benutzung beschließen. Durch den Beschluss werde jedoch nicht der Gebrauch der Müllschluckanlagen geregelt, denn eine Gebrauchsregelung müsse eine Konkretisierung des Gebrauchs zum Inhalt haben. Ein Gebrauchsentzug sei keine Regelung des Gebrauchs nach § 19 WEG. Der Gebrauchsentzug sei dem Mehrheitsprinzip von vornherein ebenso wenig zugänglich wie die Änderung einer Vereinbarung (Hinweis auf OLG Frankfurt a. M., Beschluss v. 30.8.2004, 20 W 440/01; BayObLG, Beschluss v. 28.2.2002, 2Z BR 177/01). Daran habe sich durch das WEMoG nichts geändert (Hinweis auf AG Hamburg-Altona, Urteil v. 11.1.2022, 303c C 10/21). Nach § 20 WEG könnten zwar Maßnahmen, die über die ordnungsmäßige Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums hinausgingen, beschlossen werden. Jedoch folge daraus nicht, dass jeder Beschluss, bei dessen Umsetzung irgendetwas "gebaut" werde, eine bauliche Veränderung sei. Denkbar wäre beispielsweise die Umnutzung eines Müllabwurfschachts als Aufzug oder Ähnliches.
5 Hinweis
Problemüberblick
Im Fall geht es um die Frage, ob die Wohnungseigentümer – gegebenenfalls nach § 20 Abs. 1 WEG – beschließen können, eine Einrichtung bloß stillzulegen.
Begriff der Verwaltung
Es ist kein Gegenstand der Verwaltung, das gemeinschaftliche Eigentum aufzugeben. Gemeinschaftliches Eigentum kann auch nicht dadurch – wirtschaftlich betrachtet – aufgegeben werden, dass es umgewidmet wird oder dass die Wohnungseigentümer auf eine Instandsetzung, zum Beispiel einer maroden Aufzugsanlage oder, wie im Fall, eines Müllschluckers, dauerhaft verzichten. Bei der Bestimmung, gemeinschaftliches Eigentum nicht mehr zu benutzen, zum Beispiel einen Aufzug, eine Heizungsanlage, einen Müllschlucker oder ein Schwimmbad mit weiteren Einrichtungen, handelt es sich jeweils um einen (gegebenenfalls faktischen, zum Beispiel durch eine Nichtreparatur) totalen Gebrauchsentzug, der nicht beschlossen werden kann. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das Gesetz oder eine behördliche Maßnahme den Gebrauchsentzug anordnet und ein etwaiger Beschluss diese jeweils nur umsetzt, da dann der Bereich des § 16 Abs. 1 Satz 3 WEG sich geändert hat. Beschlüsse zu baulichen Veränderungen ändern daran nichts. Ein Beschluss, der durch eine bauliche Veränderung sachenrechtliche Veränderungen herbeiführen oder Benutzungsvereinbarungen ändern wollte, ist nichtig.
Was ist für die Verwaltungen besonders wichtig?
Die Verwaltungen müssen wissen, wo die Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums begrifflich endet. Im Fall hätte daher den Wohnungseigentümern der Rat erteilt werden müssen, nicht zu bestimmen, dass die Müllabwurfschächte stillgelegt werden.
6 Entscheidung
AG Königstein, Urteil v. 28.12.2023, 21 C 833/23