Leitsatz

  • Im Erstbeschwerdeverfahren hat grundsätzlich eine mündliche Verhandlung stattzufinden.

    Die mündliche Verhandlung muss vor der vollbesetzten landgerichtlichen Kammer durchgeführt werden.

    In WEG-Sachen ist die mündliche Verhandlung öffentlich.

    Diese Grundsätze gelten nicht für bereits erlassene landgerichtliche Entscheidungen.

    Seitliche Balkonverglasung (Windschutz) als nachteilige bauliche Veränderung.

 

Normenkette

§ 22 Abs. 1 WEG, § 44 Abs. 1 WEG, § 19 Abs. 2 FGG, § 30 FGG, § 75 GVG, Art. 6 Abs. 1 Europ. MRK, § 1004 BGB

 

Kommentar

1. Die mündliche Verhandlung hat beim Landgericht vor der vollbesetzten Kammer zu erfolgen ( § 19 Abs. 2, § 30 Abs. 1 FGG i.V.m. § 75 GVG). Für die Beauftragung eines Mitglieds der Zivilkammer mit der Durchführung der mündlichen Verhandlung gibt es keine gesetzliche Grundlage ( § 375 ZPO gilt nur für die Beweisaufnahme durch einen beauftragten oder ersuchten Richter). Der Landgerichtskammer ist allerdings nicht verwehrt, die Sache durch ein Mitglied der Kammer vorbereiten zu lassen, wobei auch der Einzelrichter mit den Beteiligten mündlich verhandeln kann. Dies stellt jedoch nicht die in § 44 Abs. 1 WEG vorgeschriebene mündliche Verhandlung des LG dar, die nur vor der vollbesetzten Kammer stattfinden kann.

Nur in besonderen Ausnahmefällen kann von einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden, was einer entsprechenden Begründung bedarf. Zweck der mündlichen Verhandlung ist der Versuch einer gütlichen Einigung, die in der Regel nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann.

Die mündliche Verhandlung muss grundsätzlich auch in öffentlicher Sitzung stattfinden (Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte vom 4. 11. 1950 - BGBl 1952 II S. 685). An der gegenteiligen Auffassung im Beschluss vom 13. 7. 1982 (WEG 82, 114) hält der Senat nicht mehr fest.

Bei landgerichtlichen Entscheidungen, die bereits erlassen sind, hält es der Senat jedoch für gerechtfertigt, die bisher angewendeten Grundsätze, auf die sich die Beteiligten und die Gerichte eingestellt haben, noch beizubehalten.

2. An die Feststellungen des LG, dass der von den Antragsgegnern angebrachte Windschutz eine nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung des äußeren Bildes der Wohnanlage bedeutet, ist der Senat gebunden, da diese Feststellungen ohne Verfahrensfehler zustandegekommen sind (vgl. auch BayObLG NJW-RR 1987, 1357; OLG Zweibrücken NJW-RR 1987, 1358). Rechtsmissbräuchlich ist das Beseitigungsverlangen auch dann nicht, wenn der Antragsteller selbst widerrechtlich an seinem Balkon eine Markise angebracht haben sollte. Über die Beseitigungspflicht der Markise ist vorliegend nicht zu entscheiden.

 

Link zur Entscheidung

( BayObLG, Beschluss vom 07.12.1987, BReg 2 Z 35/87)

zu Gruppe 7: Gerichtliches Verfahren

Anmerkung:

Landgerichte (Beschwerdekammern in Wohnungseigentumssachen) sollten sich nunmehr an diese vom BayObLG verbindlich festgestellten Verfahrensgrundsätze halten. Die bisherige Übung vieler Landgerichte, mündliche Verhandlungen einem beauftragten Richter/Kammermitglied zu übertragen, ist damit nicht mehr zulässig, was jedoch den Verfahrensgang der Erstbeschwerde leider nicht beschleunigen dürfte.

Der nunmehr festgestellte Öffentlichkeitsgrundsatz der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer beweist, dass es sich in Wohnungeigentumssachen um "zivilrechtliche Ansprüche im weitesten Sinne" handelt; entscheidend ist die materiell-rechtliche Art des Anspruches und nicht die Frage, in welchem Verfahren der Anspruch nach innerstaatlicher Rechtsordnung geltend zu machen ist.

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