Kurzbeschreibung
Muster aus: av.1591 Anwaltformulare Verkehrsrecht, Tietgens-Nugel, 8. Aufl. 2020 (Deutscher Anwaltverlag)
Muster 22.11: Keine Wahrnehmbarkeit des Verkehrsunfalls
Von einem Anstoß hat mein Mandant zu keinem Zeitpunkt etwas bemerkt. Ansonsten hätte er selbstverständlich angehalten und seine Unfallbeteiligung zu erkennen gegeben. Auch die Beifahrerin hat meinen Mandanten nicht auf einen etwaigen Zusammenstoß hingewiesen. Auch sie hat nichts bemerkt.
Der subjektive Tatbestand ist daher nicht erfüllt, denn dort ist die Wahrnehmbarkeit des Unfalls angesiedelt (Gutt/Krenberger, zfs 2014, 9 ff.).
Beim Einparken hat mein Mandant nie einen Widerstand gemerkt. Durch Zeugen kann die Frage der Wahrnehmbarkeit zudem nur selten zuverlässig geklärt werden. So kann aus der Tatsache, dass ein in der Nähe der Unfallstelle befindlicher Zeuge das Aufprallgeräusch wahrnahm, nicht zwingend geschlossen werden, dass dieses dann auch vom Fahrzeuglenker hätte gehört werden müssen. Bei der Bejahung des Vorsatzes ist auf die individuellen Umstände in der Person meines Mandanten abzustellen und nicht auf die Bemerkbarkeit des Unfalls durch einen Zeugen (Staub, DAR Extra 2014, 744). Anstoßgeräusche, die außerhalb von Fahrzeugen gehört werden, werden stets lauter als innerhalb des Fahrzeuges empfunden (Burg/Rau, Handbuch der Verkehrsunfallrekonstruktion, S. 735). Zudem waren die Zeugen und mein Mandant gänzlich unterschiedlichen Umweltgeräuschen ausgesetzt und haben sehr wahrscheinlich ein anderes Hörvermögen. Der in 1m Abstand vom Stoß außerhalb des Fahrzeuges gemessene Schallpegel ist oft lauter als der im Innenraum eines beteiligten Fahrzeugs erfasste Pegel. Außerhalb des Fahrzeugs befindliche Zeugen hören daher häufig lautere Geräusche als der beschuldigte Fahrer (Himmelreich/Krumm/Staub, Verkehrsunfallflucht, 7. Aufl., Rn 144).
Mein Mandant hört zulässigerweise grundsätzlich Radio während der Fahrt, was sich natürlich auch auf die (akustische) Wahrnehmbarkeit auswirkt.
In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die Fahrzeughersteller mittlerweile größten Wert darauf legen, dass der Innenraum von Außengeräuschen möglichst gut abgeschirmt wird. Es kommt daher auch auf die Dämpfung der Fahrgastzelle des von meinem Mandanten geführten Fahrzeuges an. Es ist erwiesen, dass der Schallpegel im stoßenden und gestoßenem Fahrzeug sich um das 4 bis 6-fache unterscheiden können, weshalb Insassen des stoßenden Fahrzeugs teilweise wesentlich andere Kollisionsgeräusche wahrnehmen als Insassen im gestoßenem Fahrzeug (Himmelreich/Krumm/Staub, a.a.O., Rn 142).
Es wird daher bereits jetzt die
Einholung eines unfallrekonstruierenden Sachverständigengutachtens
sowie eines
biomechanischen bzw. wahrnehmungspsychologischen Gutachtens
angeregt und schon (vorsorglich) zur Klärung der Wahrnehmbarkeit des Verkehrsunfalls beantragt. Die Gutachten werden beweisen, dass mein Mandant einen Zusammenstoß weder merken, sehen, noch hören konnte.
Die Einholung eines unfallrekonstruierenden Sachverständigengutachtens alleine genügt nicht. Darauf weise ich hin. Denn bei diesem wird nahezu immer die individuelle Wahrnehmbarkeit des Anstoßes für den Schädiger außer Acht gelassen. Letzte Klarheit bringt zwangsläufig nur das biomechanisch bzw. wahrnehmungspsychologische Gutachten (Buck, DAR 2007, 373).
Der vermeintliche Zusammenstoß war für meinen Mandanten – dies wiederhole ich – nicht wahrnehmbar (vgl. hierzu auch Himmelreich/Krumm/Staub, a.a.O. Rn 108 ff.). Zur Kenntnis des Verkehrsunfalls gehört jedoch gerade das sichere Wissen oder jedenfalls das Für-Möglich-Halten, dass sich im Zusammenhang mit dem öffentlichen Straßenverkehr ein Unfall ereignet hat, der zumindest zu einem nicht völlig belanglosen Sachschaden geführt hat. Zur Annahme des Vorsatzes genügt es nicht, dass der Kraftfahrzeugführer nach Sachlage hätte erkennen können oder müssen, dass ein unfallrelevanter Schaden entstanden ist und insofern nur aus Fahrlässigkeit unterlassen hat, sich genauer zu vergewissern.
Darüber hinaus wird das Sachverständigengutachten Aufschluss geben, ob der vermeintliche Zusammenstoß für meinen Mandanten visuell wahrnehmbar war. Es stellt sich die Frage, ob der Anstoß im Blickfeld meines Mandanten lag, bzw. optisch auffällig war, denn der Schutzbereich ist zumeist von Fahrzeugteilen verdeckt.
Zudem wird das Sachverständigengutachten Ausführungen zu der kinästhetischen Bemerkbarkeit machen können.
Es wird beantragt,
das Ermittlungsverfahren gegen meinen Mandanten einzustellen.