Leitsatz
Das BVerfG hat eine Regelung der Versorgungsanstalt (VBL) für verfassungswidrig erklärt, nach der Mutterschutzzeiten vor 1990 nicht bei der Wartezeit für Betriebsrenten berücksichtigt wurden. Die Nichtberücksichtigung verstößt zweifach gegen das Verbot der geschlechterbezogenen Diskriminierung.
Sachverhalt
Nach der bis zum 31.2.2000 geltenden Rechtslage hatte Anspruch auf eine betriebliche Versorgungs- bzw. Versicherungsrente nur ein Arbeitnehmer, der eine Wartezeit von 60 Umlagemonaten erfüllte. Als Umlagemonat galt ein Kalendermonat, für den der Arbeitgeber eine Umlage für mindestens einen Tag für laufendes zusatzversorgungspflichtiges Entgelt entrichtet, d.h. nach der Definition in der VBL-Satzung der Arbeitnehmer steuerpflichtigen Arbeitslohn bezogen hat. Da das Mutterschaftsgeld steuerfrei gestellt ist, wurden nach der alten Rechtslage für die Mutterschutzzeiten keine Umlagen durch den Arbeitgeber gezahlt, mit der Folge, dass die Zeiten des Mutterschutzes bei der Wartezeitberechnung keine Berücksichtigung fanden. Dagegen wurden nach einer speziellen Anrechungsregel der Satzung sämtliche Krankheitszeiten, in denen ein Arbeitnehmer gesetzliche Lohnfortzahlung oder einen Krankengeldzuschuss nach den tarifvertraglichen Regelungen des öffentlichen Dienstes erhalten hat, als Umlagezeiten berücksichtigt.
Die Beschwerdeführerin war als Beschäftigte des öffentlichen Dienstes über ihren Arbeitgeber bei der VBL versichert und befand sich im Jahr 1988 für rund 3 Monate im gesetzlich vorgeschriebenen Mutterschutz. Die VBL lehnte in ihrem Fall einen Anspruch auf Betriebsrente mit der Begründung ab, dass sie insgesamt nur 59 Umlagemonate angesammelt und damit die Wartezeit nicht erreicht habe. Ihre Mutterschutzzeiten könnten nicht als umlagefähige Zeiten angerechnet werden. Die daraufhin von der Beschwerdeführerin erhobene Klage auf Feststellung, dass die VBL die Mutterschutzzeiten zu berücksichtigen habe, blieb in der vorhergehenden Instanzen ohne Erfolg. Das BVerfG gab ihr nun Recht. Die unterlassene Anrechnung war ein Verstoß gegen das Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierung aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG. Die VBL nimmt als Anstalt des öffentlichen Rechts eine öffentliche Aufgabe wahr. Ihre Satzung ist daher an die Beachtung des Gleichheitsgrundrechts gebunden.
Die in der Satzung geregelte Nichtanrechnung von Mutterschutzzeiten als Umlagemonate für die Zusatzversorgung der VBL statuiert eine Ungleichbehandlung von Müttern in zweifacher Hinsicht.
Zum einen werden Frauen mit Mutterschutzzeiten gegenüber männlichen Arbeitnehmern ungleich behandelt, da deren Erwerbsbiografien im öffentlichen Angestelltenverhältnis nicht durch die gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Mutterschutzzeiten unterbrochen wurden und auch nicht werden. Zum zweiten liegt eine Ungleichbehandlung von Frauen in Mutterschutz hier auch gegenüber denjenigen männlichen und weiblichen Versicherten vor, die Krankengeld und einen Krankengeldzuschuss des Arbeitgebers erhalten. Da der Arbeitgeber in den Zeiten der Lohnfortzahlung sowie des Bezugs eines Krankengeldzuschusses auch Umlagen entrichtet, werden die Krankheitszeiten bei der Berechnung der Zusatzversorgungsrente voll als umlagefähige Monate angerechnet. Für den Mutterschutz findet sich keine entsprechende Regel.
Diese Ungleichbehandlung knüpft an das Geschlecht. Sie ist nicht durch zwingende Gründe gerechtfertigt. Eine Gleichbehandlung von Versicherten, die während ihrer Versicherungszeiten Mutterschutz in Anspruch genommen haben und denjenigen, für die während ihrer Krankheit von ihren Arbeitgebern Umlagen entrichtet worden sind, lässt sich nachträglich nur dadurch erreichen, dass die Mutterschutzzeiten als Umlagezeitenberücksichtigt werden. Das Urteil des LG wurde daher aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung dorthin zurückverwiesen worden.
Link zur Entscheidung
BVerfG, Beschluss v. 28. 4. 2011, 1 BvR 1409/10.