Dipl.-Finanzwirt Christian Ollick
Leitsatz
In die Berechnung des Elterngelds fließt nicht nur der tatsächlich gezahlte Monatsnettolohn des betreuenden Elternteils ein. Auch spätere Lohnnachzahlungen, die der betreuende Elternteil für seine Arbeitsleistung im zwölfmonatigen Bemessungszeitraum erhält, sind zu berücksichtigen. Das BSG beruft sich auf das sog. modifizierte Zuflussprinzip.
Sachverhalt
Eine Physiotherapeutin erzielte in den 12 Monaten vor der Geburt ihres Kindes (Dezember 2005 bis November 2006) ein durchschnittliches Monatsnettoentgelt von 1.350 EUR. Das Versorgungsamt gewährte ihr auf Basis dieses Einkommens ein monatliches Elterngeld von 905 EUR (67 %). Im Zuge eines arbeitsgerichtlichen Rechtsstreits hatte sie im Jahr 2008 von ihrem Arbeitgeber eine Lohnnachzahlung von 4.766 EUR brutto erstritten; die Lohnnachzahlung entfiel auf den Zeitraum Juli bis November 2006. Die Physiotherapeutin forderte die Berücksichtigung der Lohnnachzahlung bei der Berechnung des Elterngelds.
Das BSG entschied, dass die Lohnnachzahlung bei der Berechnung des Elterngelds einzubeziehen ist. Das Elterngeld beträgt 67 % des durchschnittlich "erzielten" Erwerbseinkommens aus den letzten 12 Monaten vor der Geburt des Kindes, maximal 1.800 EUR (§ 2 Abs. 1 Satz 1 BEEG). Nach Ansicht des BSG ist für die Bemessung des Elterngelds nicht nur das im Zwölfmonatszeitraum tatsächlich zugeflossene Arbeitsentgelt zu Grunde zu legen, sondern auch das Arbeitsentgelt, das in diesem Zeitraum erarbeitet wurde und erst nach dessen Ablauf, infolge einer nachträglichen Vertragserfüllung, zur Auszahlung gelangt ist. Diese weitgefasste Definition des "erzielten Einkommens" fasst das BSG unter den Begriff des sog. modifizierten Zuflussprinzips zusammen.
Zwar lässt sich aus dem Gesetzeswortlaut des § 2 Abs. 1 Satz 1 BEEG ("…erzieltes monatliches Einkommen…") nicht erkennen, ob der Gesetzgeber ausschließlich zugeflossenes oder auch bereits erarbeitetes Einkommen berücksichtigen will. Allerdings hat das BSG bereits in seinem Urteil v. 28.6.1995 unter den Begriff des erzielten Einkommens sowohl das zugeflossene als auch das erarbeitete (und später zugeflossene) Einkommen gefasst. Da der Gesetzgeber bei Schaffung des BEEG im Jahr 2006 denselben Begriff nutzt, liegt es nahe, dass das "Erzielen" im Sinne der vorgeprägten Rechtsprechung zu verstehen ist.
Dass ausschließlich zugeflossenes Einkommen bei der Bemessung des Elterngelds berücksichtigt werden darf, ergibt sich ferner nicht aus den Gesetzesmaterialien, der Systematik des BEEG und dem Sinn und Zweck der Elterngeldförderung. Insbesondere scheint es nach Auffassung des BSG nicht angebracht, die Bemessung des maßgeblichen Einkommens von einem rechtswidrigen Verhalten des Arbeitgebers abhängig zu machen.
Hinweis
Die Entscheidung des BSG wirkt sich positiv für alle Elterngeldberechtigten aus, die für ihre Arbeitsleistung im Bemessungszeitraum eine Lohnnachzahlung erhalten. Einkommensteuererstattungen dürfen sich jedoch nicht auf die Höhe des Elterngelds auswirken (LSG Mainz, Urteil v. 21.10.2010, L 5 EG 4/10).
Link zur Entscheidung
BSG, Urteil v. 30.9.2010, B 10 EG 19/09 R.