Leitsatz
Art. 48 EWG-Vertrag (später Art. 48 EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Art. 39 EG) ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren betroffenen entgegensteht, wonach natürliche Personen, die Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit in einem Mitgliedstaat beziehen und dort unbeschränkt steuerpflichtig sind, keinen Anspruch darauf haben, dass bei der Festsetzung des Steuersatzes für diese Einkünfte in diesem Staat Verluste aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt werden, die sich auf ein von ihnen selbst zu Wohnzwecken genutztes Wohnhaus in einem anderen Mitgliedstaat beziehen, während positive Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bezüglich eines solchen Hauses berücksichtigt würden.
Normenkette
§ 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, § 32b Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 2 EStG 1987, Art. 39 EG
Sachverhalt
Die Kläger wurden im Streitjahr 1987 als gem. § 1 Abs. 3 des EStG 1987 unbeschränkt steuerpflichtige Eheleute zusammen zur ESt veranlagt. Sie erzielten in Deutschland Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit (als Lehrer an einem Gymnasium), wohnten aber in einem in Frankreich belegenen eigenen Einfamilienhaus.
Die Kläger begehren die Berücksichtigung negativer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung wegen der Selbstnutzung des Einfamilienhauses (vgl. § 21 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 21 Satz 2 EStG 1987) im Weg des sog. negativen Progressionsvorbehalts gem. § 32b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 EStG 1987. Das FA lehnte das unter Hinweis auf § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 1987 ab.
Das FG folgte dem FA und wies die Klage gegen den ESt-Bescheid 1987 als unbegründet ab. Es bezog sich dabei auf das BFH-Urteil vom 17.10.1990, I R 182/87 (BStBl II 1991, 136, dort unter IV.). Eine gemeinschaftsrechtswidrige Diskriminierung der Kläger scheide schon deswegen aus, weil Inländer entsprechende Auslandsverluste ebenfalls nicht ausgleichen und hierfür ebenfalls nicht den negativen Progressionsvorbehalt in Anspruch nehmen könnten.
Entscheidung
Der EuGH sah das anders. Die Auslandsverluste sind im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts zu berücksichtigen. Die entgegenstehende Rechtsprechung des BFH ist wohl aufzugeben.
Hinweis
1. Der EuGH beantwortet die ihm gestellte (2.) Vorlagefrage des BFH vom 13.11.2002, I R 13/02 (BFH-PR 2003, 242). Es handelte sich hierbei um einen etwas problematischen Vorlagebeschluss.
Denn einerseits stehen die Fragen um die Abzugsfähigkeit ausländischer Verluste im Ansässigkeitsstaat zwar massivst im Fokus insbesondere der europarechtlichen Fachdiskussion. Eine (möglicherweise flächendeckende?) und jedenfalls aus Sicht der Finanzverwaltung "entwarnende" Lösung bietet u.U. das jüngste Urteil des EuGH vom 13.12.2005, Rs. C-446/03 in der Rechtssache "Marks & Spencer" (BFH-PR 2006, 112, vgl. dazu auch die Praxis-Hinweise zu dem EuGH-Urteil vom 23.2.2006, Rs. C-253/03"CLT-UFA" [in diesem Heft auf S. 195, dort unter 4.]).
Andererseits ging es im Urteilsfall um eine sehr besondere Konstellation: Um Verluste aus der (damals gem. § 21 Abs. 2 Satz 1, § 52 Abs. 21 Satz 2 EStG 1987 noch steuerpflichtigen) Selbstnutzung eines Einfamilienhauses in Frankreich als dem Ansässigkeitsstaat der Steuerpflichtigen, die in Deutschland – als Quellenstaat – Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit erwirtschafteten. In Rede stand also gerade die umgekehrte Situation: Verluste im Ansässigkeits- und Einkünfte im Quellenstaat, die nur infolge einer Sonderregelung, jener des § 1 Abs. 3 EStG, sowie der abkommensrechtlichen Besteuerungszuordnung der deutschen Besteuerung unterfielen und hier sogar unbeschränkt steuerpflichtig waren. Außerdem war Streitjahr 1987, also ein Jahr, in dem die EG-Harmonisierung noch nicht so weit fortgeschritten war, wie dies derzeit der Fall ist, was wiederum einige Grundfreiheiten vor allem die Unionsbürgerschaft (Art. 17 ff. EG) und die Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 ff. EG) nicht "greifen" ließen.
Dennoch: Der BFH wollte ersichtlich Klarheit in diese wichtige Frage bringen und hatte die Gelegenheit genutzt, sie dem EuGH vorzulegen. Wegen besagter Besonderheiten war allerdings schon vielfach vermutet worden, der EuGH halte die Vorlage für unzulässig. Dieser Kelch ist am BFH zwar "so eben noch" einmal vorbeigegangen.
2. Die Antworten, welche der EuGH in der Sache gibt, sind gleichwohl gewissermaßen "Schmalkost":
Es verstößt danach gegen die EG-rechtlich gesicherte Arbeitnehmerfreizügigkeit, wenn Auslandsverluste aus Vermietung und Verpachtung in jenem Staat, in dem die überwiegenden Einkünfte erzielt werden, nicht im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts (§ 32b EStG) berücksichtigt werden.
Das aber ist nach bisheriger Rechtsprechung des BFH dann der Fall, wenn die Auslandsverluste einem Abzugsverbot unterliegen. Ein solches Verbot kann nach der Rechtsprechung des BFH greifen, wenn Einkünfte (also Gewinne ebenso wie Verluste) nach Maßgabe eines DBA (im Urteilsfall des DBA Frankreich) im Inland von der Besteuerung freigestellt sind. Es greift überdies unter den Voraussetzu...