Gerhard Manz, Dr. Jan Henning Martens
Leitsatz
Der ehemalige Vorstandsvorsitzende einer AG hatte von dieser eine Immobilie zu Wohnzwecken gemietet, dazu einen Wohnraummietvertrag über 30 Jahre abgeschlossen und zu seinen Gunsten eine günstige Miete mit Wertsicherungsklausel vereinbart. Der Aufsichtsrat hatte den Mietvertrag seitens der AG unterzeichnet (§ 112 AktG).
Nach einem Zerwürfnis zwischen der AG und dem Vorstandsvorsitzenden verließ dieser die Gesellschaft und die AG verkaufte die Immobilie. Unter anderem aufgrund der langfristig vereinbarten niedrigen Miete erzielte die AG einen geringen Kaufpreis. Die Differenz zu dem (unter Zugrundelegung eines angemessen Mietvertrags ermittelten) Marktwert der Immobilie machte die AG gegenüber dem ehemaligen Vorstandsvorsitzendem sowie den Aufsichtsratsmitgliedern klageweise geltend.
Das OLG Frankfurt gab der Klage statt. Als Vorstandsmitglied sei der Beklagte Verwalter fremden Vermögens und könne nicht die eingeräumten Rechtsgestaltungsmöglichkeiten des BGB in vollem Umfang nutzen. Ihn treffe eine weitgehende Treuepflicht, die es ihm gebiete, die eigenen Interessen hinter die Gesellschaftsinteressen zurückstellen. Bereits der Abschluss des Mietvertrags über eine Laufzeit von 30 Jahren stelle eine Pflichtverletzung des beklagten Vorstandsvorsitzenden dar, auch wenn das BGB eine solche Gestaltung grundsätzlich zulasse. Denn eine derart lange Laufzeit beeinträchtige die Verkaufschancen einer Wohnimmobilie und habe im konkreten Fall zu einem Mindererlös in Höhe von 467.516,77 EUR geführt. Nach Auffassung des OLG Frankfurt hätten Vorstand und Aufsichtsrat bei pflichtgemäßem Verhalten einen Vertrag mit kürzerer Laufzeit und angemessener Mietanpassungsmöglichkeit vereinbart.
Entsprechend verurteilte das OLG Frankfurt auch die beklagten Aufsichtsratsmitglieder zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 467.516,77 EUR zzgl. Zinsen.
Hinweis
Das Urteil des OLG Frankfurt verdeutlicht die hohen Anforderungen, die die Gerichte an das Handeln der Organe einer Aktiengesellschaft stellen:
- Bei Verträgen zwischen dem Vorstand und der AG wird letztere von Gesetzes wegen durch den Aufsichtsrat vertreten (§ 112 AktG). Das gibt dem Vorstand nach Auffassung des OLG Frankfurt jedoch nicht das Recht, dem Aufsichtsrat einen für sich besonders günstigen Vertrag vorzulegen. Es ist auch dann die Pflicht des Vorstands, die Interessen der Gesellschaft zu berücksichtigen und darauf zu achten, dass der Vertrag dem Drittvergleich Stand hält.
- Der Aufsichtsrat wiederum darf sich nicht darauf verlassen, dass der vom Vorstand vorbereitete Vertrag "schon in Ordnung ist". Ihm obliegt vielmehr eine eigenständige Prüfungspflicht. Und dafür gilt, wie das OLG Frankfurt unter Hinweis auf eine frühere Entscheidung des BGH formuliert: "Jedes Aufsichtsratsmitglied muss die Mindestkenntnis und Fähigkeiten besitzen oder sich aneignen, die zum Verständnis oder zur Beurteilung aller normalen Geschäftsvorfälle erforderlich sind".
- Vorstand und Aufsichtsrat ist zu raten, zum Beweis des Drittvergleichs Gutachten, Alternativangebote o.ä. einzuholen und auf diese Weise die Angemessenheit der Vertragskonditionen festzustellen - und diese in einem späteren Prozess belegen zu können.
Nebenbei: Für Vorstandsmitglieder, die gleichzeitig Aktionäre sind, gilt gem. § 57 AktG das Verbot der Einlagenrückgewähr. Hierdurch ist es dem Aktionär und der Gesellschaft ebenfalls verboten, nicht dem Drittvergleich standhaltende Verträge abzuschließen. Auf diese Norm kam es im Streitfall nicht an, bei anderen für den Aktionär vorteilhaften Vermögen kann sich auch auf dieser Grundlage ein Rückzahlungsanspruch der Gesellschaft ergeben. Und: Verträge mit Vorstandsmitgliedern, die gleichzeitig Aktionäre sind, können steuerlich eine verdeckte Gewinnausschüttung darstellen.
Link zur Entscheidung
OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 18.11.2010, 5 U 110/08