Prof. Dr. Barbara E. Reinhartz, Dr. Paul Vlaardingerbroek
Rz. 107
Zwei Abgeordnete, Recourt und van der Steur, haben am 17.2.2015 einen Initiativ-Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht: die Kindesunterhaltsreform, die eine Änderung des heutigen Kindesunterhaltrechts beinhaltet. Richter brauchen nicht mehr den Kindesunterhalt zu berechnen. Stattdessen müssen die Eltern mit einem neuen Rechensystem (mit einem "Internettool") die Berechnung selber vornehmen. Beide Elternteile müssen Kindesunterhalt zahlen. Bei der Berechnung wird berücksichtigt, wie die Eltern die Sorge geregelt haben. Auch muss jeder Elternteil, ungeachtet der Tragfähigkeit, einen Minimumbeitrag von 50 EUR pro Monat zahlen. Die Verpflichtung zum Kindesunterhalt hat Vorrang vor anderen Verpflichtungen der Eltern. Der Kindesunterhalt muss nur bis zum 18. Lebensjahr des Kindes gezahlt werden, es sei denn, die Kinder studieren noch. Eltern müssen sich auch einigen, z.B. im Elternschaftsplan, welcher Elternteil welche Kosten zahlen wird. Und letztlich ist im Gesetzentwurf vorgesehen, dass Stiefeltern keinen Unterhalt mehr für die Kinder ihrer Partner zahlen müssen. Ob der Gesetzentwurf jemals in Kraft treten wird, ist ungewiss. Beide Initiatoren haben inzwischen die Politik verlassen und der Gesetzentwurf wird noch in der 2. Kammer des Parlaments behandelt.
Rz. 108
Ausschlaggebend für die Berechnung des Kindesunterhalts ist einerseits der Bedarf des Kindes, andererseits die Leistungsfähigkeit der Eltern. Zur Bestimmung des Bedarfs von Minderjährigen wird die Tabelle "Kosten der Kinder" herangezogen. Anhand dieser Tabelle wird berechnet, welche Kosten für ein Kind auf der Grundlage des (fiktiven) Familieneinkommens, der Zahl der Kinder und des Kindesalters anfallen. Diese Tabelle wurde in Zusammenarbeit mit dem "Nationalen Institut für Budgetinformation" (Nationaal Instituut voor Budgetvoorlichting, NIBUD) erstellt.
Rz. 109
Zur Bestimmung der Leistungsfähigkeit der Eltern werden die genannten "Alimentatienormen" (siehe Rdn 103) herangezogen. Manchmal stellt sich heraus, dass der Unterhaltsverpflichtete unzureichend leistungsfähig ist. In diesem Fall wird die Höhe der Unterhaltspflicht auf das Minimum von 25 EUR reduziert. In dem Gesetz Wet hervorming kindregelingen vom 25.6.2014, Stb. 2014, 227, in Kraft seit dem 1.1.2015, ist eine staatliche Unterstützung (kindgebonden budget) geregelt, die der allein versorgende Elternteil erhält, "alleenstaande ouderkop" genannt. Es war umstritten, ob man diese Beträge anrechnen sollte auf den Unterhaltsbedarf des Kindes oder auf die Leistungsfähigkeit des versorgenden Elternteils. Am 9.10.2015 hat der Hoge Raad entschieden, dass durch diesen staatlichen Zuschuss der Unterhaltsbedarf des Kindes nicht gesenkt wird, sondern dass die Leistungsfähigkeit des empfangenden Elternteils dadurch erhöht wird.
Rz. 110
Das Gesetz bestimmt, dass der vom Richter festgesetzte Unterhalt zur Kostentragung von Pflege und Erziehung oder von Lebensunterhalt und Studium einschließlich der vorläufigen Maßnahmen im Falle einer Scheidung dem Elternteil oder dem Vormund des Kindes, der das Kind pflegt und erzieht, oder dem jungen Volljährigen von 18, 19 oder 20 Jahren direkt auszubezahlen ist (Art. 1:408 Abs. 1 BW). Die Bezahlung hat daher an den Unterhaltsberechtigten zu erfolgen. Auf Antrag des Berechtigten oder des Berechtigten zusammen mit dem Unterhaltsschuldner kann das LBIO, welches seit dem 1.1.1997 völlig selbstständig tätig ist, die Einforderung des Unterhalts übernehmen (Art. 1:408 Abs. 2 BW).
Rz. 111
Zum 1.3.2009 ist Art. 1:400 BW geändert worden. Es wurde darin der Vorrang des Unterhaltspflichtigen gegenüber einem (Stief-)Kind in Bezug auf den anderen Unterhaltspflichtigen festgelegt. Die Praxis ist regelmäßig bereits von einer solchen Vorrangsregel ausgegangen, obwohl dies gerichtlich hätte nicht in Anspruch genommen werden können. Diese Vorrangsregel war anfangs Bestandteil des Gesetzentwurfs zur Verbesserung der Unterhaltszahlung für Kinder, der später in 2006 zurückgezogen wurde.