Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch einer sog. „unechten” Ortskraft eines Generalkonsulats der Republik Türkei
Leitsatz (redaktionell)
- Zum Begriff der „unechten Ortskraft”.
- Aus dem konsularrechtlich verwendeten Begriff der „ständigen Ansässigkeit” ergeben sich für sog. „unechte Ortskräfte” keine weitergehenden Vorrechte im Empfangsstaat Deutschland.
- Die konsularrechtliche Einordnung zu „ständig ansässigen” Mitgliedern der Vertretung entspricht keiner völkerrechtlichen Anerkennung eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Empfangsstaat, vielmehr handelt es sich nur um unabhängige Regelungsbereiche allein zur Beschreibung des Umfangs der (diplomatischen/konsularischen) Vorrechte.
- Der Ehegatte einer „unechten Ortskraft”, auf die aufgrund eigener Entscheidung das deutsche Sozialversicherungs- und Einkommensteuerrecht nicht anwendbar ist, hat aus vorrangigen völkerrechtlichen Regelungen auch nach langjährigem Wohnen in Deutschland keinen Kindergeldanspruch.
Normenkette
AO §§ 2, 8-9; AufenthG § 99; AufenthV § 27; EStG § 1 Abs. 2-3, § 62 Abs. 1 Nrn. 1-2, Abs. 2, 2 Nr. 2; KV/UVEuVorlAbk Art 1 Abs. 1 Buchst. d; KV/UVEuVorlAbk Art 7 Abs. 1; SozSichAbk TUR Art 1 Abs. 2; SozSichAbk TUR Art 2; SozSichAbk TUR Art 8; SozSichAbk TUR Art 8 Abs. 1; SozSichAbk TUR Art 9; EWGV 1408/71 Art 16; KonsÜbk Wien Art 1 Abs. 1 Buchst. e, F; KonsÜbk Wien Art 43 Abs. 3; KonsÜbk Wien Art 46 Abs. 1; KonsÜbk Wien Art 48; KonsÜbk Wien Art 49 Abs. 2; KonsÜbk Wien Art 55 Abs. 1; KonsÜbk Wien Art 71 Abs. 2 S. 3
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob die Klägerin als Ehefrau einer sogenannten „unechten” Ortskraft eines Generalkonsulats der Republik Türkei Anspruch auf Kindergeld hat.
Die Klägerin lebte bis 1987 in der Türkei und zog nach der Heirat zu ihrem in Deutschland tätigen Ehemann. Dieser war im Jahre 1983 von der konsularischen Vertretung seines Landes in der Türkei angeworben worden. Er verzog 1983 zur Aufnahme der Tätigkeit als Kraftfahrer nach A. Seither arbeitete der Ehemann als „unechte” Ortskraft im Konsulat. Die Klägerin und ihr Ehemann erhielten vom Auswärtigen Amt der Bundesrepublik Deutschland „Protokollausweise für Ortskräfte” mit der Kennzeichnung „OK”. Sie lebten seit ihrer Einreise in A. Steuern und Sozialversicherungsbeiträge wurden für den Ehemann ausschließlich in der Türkei bezahlt bzw. abgeführt. Die Klägerin erzielte keine Einkünfte im Inland.
Am 30. August 1988 wurde ihre Tochter T in Deutschland geboren und besuchte hier später die Schule. Einen Kindergeldantrag aus dem Jahre 2002 lehnte der Beklagte nach Angaben der Klägerin ab.
Am 10. Februar 2011 beantragte die Klägerin abermals Kindergeld bei der Beklagten und zwar rückwirkend ab dem 1. Januar 2007. Die Tochter besuchte zu dieser Zeit die 12. Klasse der Fachoberschule … in A. Sie verfügte im Streitzeitraum über keine eigenen Einkünfte oder Bezüge. Die Tochter besitzt inzwischen eine Niederlassungserlaubnis nach § 35 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG).
Durch Bescheid vom 21. März 2011 lehnte der Beklagte den Kindergeldantrag ab. Dagegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage.
Die Klägerin ist der Ansicht, sie habe Anspruch auf Kindergeld. Sie habe nach den Regeln der Abgabenordnung (AO) ihren Wohnsitz in A. Dem stehe nicht das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen (WÜK) entgegen. Beide seien nach den Regeln des WÜK in A „ständig ansässig”. Lediglich die Einkünfte des Ehemannes als Ortskraft seien nach dem DBA-Türkei nur in der Türkei steuerpflichtig. Sie selbst, als Ehefrau einer Ortskraft, könne keine Steuerbefreiung beanspruchen. Für ihren Ehemann seien gemäß Art. 8 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Türkei über Soziale Sicherheit ausschließlich die sozialversicherungsrechtlichen Regelung der Türkei anwendbar.
Der Kindergeldanspruch scheitere auch nicht an den Regeln des § 62 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG), da diese Voraussetzungen wegen des „Vorläufigen Europäischen Abkommens vom 11. Dezember 1953 über soziale Sicherheit unter Ausschluss der Systeme für den Fall des Alters, der Invalidität und zu Gunsten der Hinterbliebenen” (BGBl II 1956, 507) keine Anwendung fänden.
Die Klägerin oder ihr Ehemann hätten vom Beschäftigungsstaat des Ehemannes (Türkei) keine dem Kindergeld vergleichbare Leistungen nach § 65 Abs. 1 Satz 1 EStG erhalten.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 21. März 2011 und des Einspruchsbescheides vom 7. September 2011 zu verpflichten, der Klägerin Kindergeld in der jeweils gesetzlichen Höhe ab Januar 2007 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hält daran fest, dass die Klägerin und ihr Ehemann dem Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen (WÜD) und dem WÜK unterfielen. Beide seien danach in Deutschland nicht (unbeschränkt) einkommensteuerpflichtig. Der Ehemann der Klägerin habe danach selbst jedenfalls kei...