Entscheidungsstichwort (Thema)
unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung. Einkommensteuer 1991
Tenor
Die Klage wird auf Kosten der Kläger abgewiesen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Zulässigkeit einer Zweitklage. Insbesondere geht es darum, ob die Rechtsbehelfsbelehrung im Einspruchsbescheid unrichtig ist und deshalb Klage gemäß § 55 Abs. 2 FGO innerhalb eines Jahres erhoben werden kann und ob die Rücknahme der Erstklage nach Eingang der Zweitklage zum Verbrauch der Klage schlechthin führt.
Der Beklagte (das beklagte Finanzamt – FA –) wich von der erst im Einspruchsverfahren eingereichten Einkommensteuererklärung 1991 der Kläger insofern ab, als er bei den Einkünften der Kläger aus Kapitalvermögen geltend gemachte Werbungskosten in Höhe von 149.838 DM nur mit einem anhand des Umfangs der Werbungskosten der Vorjahre geschätzten Teilbetrags von 90.000 DM zum Abzug zuließ, weil die Kläger die Höhe der Aufwendungen trotz Aufforderung nicht belegten und auch den Zusammenhang der Aufwendungen mit der Erzielung der Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht im einzelnen darlegten.
Im Verlauf der hiergegen erhobenen (Erst-)Klage – Az. II 172/95 – wurden dem Prozeßbevollmächtigten zur Bezeichnung des Klagebegehrens gemäß § 65 Abs. 2 FGO und zur Vorlage der Prozeßvollmacht gemäß § 62 Abs. 3 FGO Ausschlußfristen gesetzt, innerhalb derer die aufgegebenen Prozeßhandlungen nicht erfolgten. Nach ergebnislosem Ablauf dieser Frist erhoben die Kläger durch ihre Prozeßbevollmächtigten erneut Klage (Zweitklage) und nahmen einige Tage später die Erstklage zurück. Das Verfahren der Erstklage (Az. II 172/95) wurde daraufhin durch Beschluß eingestellt.
Die Kläger sind der Auffassung, die Klage sei nicht verspätet erhoben; sie könne nämlich gemäß § 55 Abs. 2 innerhalb eines Jahres erhoben werden, weil die Rechtsbehelfsbelehrung im Einspruchsbescheid unrichtig sei. Denn dort sei nur das Rechtsmittel gegen den Einspruchsbescheid aufgeführt („Gegen diese Entscheidung kann … Klage erhoben werden”), nicht angegeben sei dagegen das Rechtsmittel bzw. der Rechtsmittelweg hinsichtlich des angefochtenen Einkommensteuerbescheides selbst. Wegen des vollständigen Wortlauts der Rechtsbehelfsbelehrung wird auf Blatt 1 des Einspruchsbescheides vom 22.02.1995 (Blatt 7 Gerichtsakte zu Az. II 172/95) verwiesen. Die Rücknahme der Erstklage stehe einer Entscheidung in der Sache nicht entgegen; Verlust der Klage gemäß § 72 Abs. 2 FGO bedeute nur, daß keine neue Klage erhoben werden könne.
In der Sache selbst hat die Klägerin lediglich vorgetragen, bei den als Werbungskosten geltend gemachten Aufwendungen handele es sich um Refinanzierungskosten. Belege hierüber sind trotz Aufforderung noch nicht vorgelegt worden.
Die Kläger beantragen,
die Einkommensteuer entsprechend den Angaben in der Steuererklärung festzusetzen.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das FA ist der Auffassung, die Zweitklage sei unzulässig, da durch die Rücknahme der Erstklage das Klagerecht verbraucht sei. Darüber hinaus sei die Zweitklage nicht fristgemäß erhoben; entgegen der Auffassung der Kläger sei die Rechtsbehelfsbelehrung nämlich nicht unrichtig gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unzulässig.
1.) Die Unzulässigkeit der Klage folgt allerdings nicht schon daraus, daß sie zu einem Zeitpunkt erhoben ist, zu dem die Erstklage noch anhängig war.
Zwar kann gemäß § 155 Finanzgerichtsordnung (FGO) in Verbindung mit § 17 Abs. 1 Satz 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) die Streitsache nicht anderweitig anhängig gemacht werden, stand mithin der Zweitklage die Anhängigkeit der Erstklage entgegen. Da es sich hierbei jedoch lediglich um eine negative Sachentscheidungsvoraussetzung handelt, daß heißt eine Voraussetzung, die erfüllt sein muß, damit ein Sachurteil ergehen darf, nicht aber um eine sogenannte Zugangsvoraussetzung, die bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung gegeben sein muß, wie zum Beispiel bei fristgebundenen Klagen die Einhaltung der Klagefrist, kann eine wegen der Anhängigkeit einer Erstklage unzulässige Zweitklage noch zulässig werden, wenn die Anhängigkeit der Erstklage wegfällt (Kissel, Kommentar zum GVG, 2. Auflage 1994, § 17 Anmerkung 12; Schumann in Stein – Jonas, Kommentar zur ZPO, 20. Auflage 1987, § 261 Randnummer 51). Da die Kläger ihre Erstklage zurückgenommen haben, ist gemäß § 155 FGO in Verbindung mit § 269 Abs. 3 Satz 1 Absatz 1 ZPO der Rechtsstreit als nichtanhängig geworden anzusehen, ist das Prozeßhindernis anderweitiger Rechtshängigkeit rückwirkend entfallen und steht deshalb einer Sachentscheidung über die Zweitklage nicht mehr entgegen.
2.) Durch die Rücknahme der Erstklage ist auch nicht etwa das Klagerecht insgesamt verbraucht.
Allerdings hat nach § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO die Rücknahme bei Klagen, deren Erhebung – wie hier die Anfechtungsklage der Klägerin, § 55 Abs. 1 FGO – an eine Frist gebunden ist, den Verlust der Klage zur Folge; eine fristgebundene Klage kann deshalb, anders als im Zivil- und Verwaltungsprozeßrecht, auch dann nicht erneut erhoben ...