Entscheidungsstichwort (Thema)
Geltung der Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO auch bei Bestreiten des Zugangs des Bescheids durch Erben des Bekanntgabeadressaten
Leitsatz (redaktionell)
- Bestreitet der Erbe des Bekanntgabeadressaten den Zugang des Bescheides, ist die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht widerlegt.
- Der Erbe des Bekanntgabeadressaten kann mangels eigener Wahrnehmung keine substantiierte Aussage zum Zugang eines Steuerbescheides machen; er kann den Zugang des Steuerbescheids beim Adressaten daher nur mit Nichtwissen bestreiten.
- Das Bestreiten mit Nichtwissen widerlegt nicht die Zugangsvermutung des § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO.
Normenkette
AO § 122
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Schenkungsteuerbescheid vom 30. August 1982 dem Vater der Kl. wirksam bekanntgegeben wurde.
Die Tante der Kl. (Im Folgenden: Schenkerin) übertrug im Wege der vorweggenommenen Erbfolge mit notariellem Vertrag vom 21. November 1980 (299/1980 der Urkundenrolle des Notars Dr. C. ...) ihrem Bruder, dem Vater der Kl., ihre Hof- und Gebäudefläche W. 4 in R. Der Vater der Kl. räumte der Schenkerin ein lebenslängliches Wohnrecht an dem Erdgeschoss des übertragenen Gebäudes ein.
Mit Bescheid vom 30. August 1982 setzte das beklagte Finanzamt (FA) die Schenkungsteuer für diese Grundstücksübertragung auf 1.562 DM fest und stundete die Steuer zinslos nach § 25 Abs. 1 Erbschaftsteuergesetz 1974 (ErbStG) bis zum Erlöschen des lebenslänglichen Wohnrechts der Schenkerin. Das FA gab diesen Bescheid am 30. August 1982 (Montag) zur Post und vermerkte die Aufgabe zur Post auf der Aktenausfertigung des Bescheids.
Im November 1983 verstarb der Vater der Kl. Alleinerbin war seine Ehefrau, die Mutter der Kl. Im April 1986 verstarb die Mutter der Kl. und wurde von der Kl. allein beerbt. Im November 1991 verstarb schließlich die Schenkerin.
Im Oktober 1992 forderte das FA die Kl. als Erbin ihrer Eltern auf, die gestundete Schenkungsteuer von 1.562 DM zu zahlen, da das lebenslängliche Wohnrecht zu Gunsten der Schenkerin durch ihren Tod weggefallen sei und damit kein Stundungsgrund mehr bestehe.
Die Kl. beantragte daraufhin beim FA, den Schenkungsteuerbescheid zu ändern, da sie selbst gegenüber der Schenkerin 1983 bis 1984 Pflegeleistungen erbracht habe, die noch steuermindernd zu berücksichtigen seien.
Mit Bescheid vom 18. Juni 1993 wies das FA den Änderungsantrag zurück, da die Schenkungsteuer bereits bestandskräftig gegenüber dem Vater der Kl. festgesetzt worden sei. Hiergegen legte die Kl. Einspruch ein. Ihr Vater sei ein Beamter alter preußischer Prägung gewesen, der alle steuerrechtlichen Angelegenheiten mit ihr besprochen habe. Sie habe jedoch von der Existenz des Bescheides nichts gewusst. Auch im Nachlass ihrer Eltern habe sie keinen Schenkungsteuerbescheid gefunden. Daraus ließe sich nur schließen, dass ihr Vater keinen Bescheid erhalten habe. Das FA sei jedoch für die Bekanntgabe des Bescheides beweispflichtig.
Mit Einspruchsbescheid vom 28. Januar 1994 wies das FA den Einspruch der Kl. als unbegründet zurück. Hiergegen richtet sich die vorliegende Klage.
Die Kl. hält an ihrem Vorbringen fest und behauptet ergänzend, dass auch ihr Vater gegenüber der Schenkerin Pflegeleistungen erbracht habe und im Übrigen erhebliche Beträge für den Ausbau und die Instandhaltung des übertragenen Grundbesitzes aufgewendet habe. Im Ergebnis liege daher überhaupt keine Schenkung vor.
Die Kl. beantragt,
den Schenkungsteuerbescheid vom 30. August 1982 sowie den Ablehnungsbescheid vom 18. Juni 1993 und den Einspruchsbescheid vom 28. Januar 1994 aufzuheben.
Das FA beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise, im Falle des Unterliegens die Revision zuzulassen.
Das FA tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und meint, dass die Schenkungsteuer bereits bestandskräftig festgesetzt worden sei.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 40 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) zulässig, unabhängig davon, ob das FA dem Vater der Kl. gegenüber den Schenkungsteuerbescheid vom 30. August 1982 tatsächlich i.S.d. § 124 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) wirksam bekanntgegeben hat. Zwar kann mit einer Anfechtungsklage gemäß § 40 Abs. 1 FGO regelmäßig nur die Aufhebung oder die Änderung eines wirksam bekanntgegebenen Verwaltungsaktes begehrt werden. Die Aufhebung eines nichtigen Steuerbescheids oder eines rechtlich nicht existent gewordenen Bescheids (sog. Nichtakt) ist jedoch dann ausnahmsweise nach § 40 Abs. 1 FGO möglich, wenn von dieser unwirksamen Steuerfestsetzung die Rechtsscheinwirkung eines wirksamen Verwaltungsaktes ausgeht (BFH-Urteil vom 17. Juli 1986, V R 96/85, BStBl. II 1986, 834; Urteil des FG des Saarlandes vom 28. April 1994 2 K 3/92, EFG 1995, 157; Gräber/von Groll, FGO, 4. Aufl. 1997, § 40 Rz. 13 und § 41 Rz. 22, 24 m.w.N.). Hat das FA im vorliegenden Fall, wie die Kl. behauptet, den Schenkungsteuerbescheid ihrem Vater nicht bekanntgegeben, so handelt es sich um einen Nichtakt, der ...