vorläufig nicht rechtskräftig
Revision zugelassen durch das FG
Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkende Festsetzung von Kindergeld - Beweiswert des Eingangsstempels einer Behörde
Leitsatz (redaktionell)
- § 66 Abs. 3 EStG ist im Festsetzungsverfahren zu berücksichtigen; die Norm ist nicht im Erhebungs bzw. Auszahlungsverfahren zuzuordnen und bietet daher keine Grundlage dafür, die Auszahlung eines bestandskräftig festgesetzten Kindergeldanspruchs zu verweigern.
- Wird Kindergeld entgegen § 66 Abs. 3 EStG für Zeiträume rückwirkend festgesetzt, die mehr als sechs Monate vor dem Monat der Antragsstellung liegen, steht § 66 Abs. 3 EStG der Auszahlung des festgesetzten Kindergeldes nicht entgegen.
- Der Eingangsstempel einer Behörde erbringt im Regelfall den Beweis des Eingangsdatums eines Schriftstücks.
Normenkette
EStG § 66 Abs. 3; ZPO § 418
Streitjahr(e)
2014, 2015, 2016, 2017, 2018
Nachgehend
Tatbestand
Der Kläger ist Mitarbeiter der K., einer Körperschaft des öffentlichen Rechts. Er ist am Standort L. tätig.
Er stellte bei der Beklagten einen Kindergeldantrag für sein Kind für den Zeitraum August 2014 bis Januar 2018. Das Antragsschreiben ist auf den 21. Dezember 2017 datiert und an die bei der Beklagten für die Bearbeitung von Kindergeldanträgen ihrer Mitarbeiter zuständige Stelle in M. (Familienkasse) gerichtet. Es wurde mit dem Eingangsstempel der Familienkasse vom 2. Januar 2018 versehen und ausweislich des im Ausdruck der E-Akte ersichtlichen Scandatums am 3. Januar 2018 eingescannt.
Das Kindergeld für Juli bis Dezember 2017 iHv 1.346 € wurde von der Beklagten durch Bescheid vom 17. Januar festgesetzt und umgehend ausgezahlt.
Mit dem hier streitigen Bescheid vom 12. März 2018 setzte die Beklagte auch das Kindergeld für den Zeitraum August 2014 bis Juni 2017 iHv insgesamt 6.608 € fest. Im selben Bescheid verfügte die Beklagte unter der Überschrift ”Nachzahlung“, dass sich hieraus keine Nachzahlung des Kindergeldes ergebe (Nichtauszahlungsverfügung). Auf Grund der gesetzlichen Änderung nach § 66 Abs. 3 EStG könnten Anträge, die nach dem 31. Dezember 2017 eingingen, rückwirkend nur noch zu einer Nachzahlung für die letzten sechs Kalender Monate vor Eingang des Antrages bei der Familienkasse führen.
Der Kläger legte Einspruch ein ”gegen die Feststellung, der Antrag vom 21. Dezember 2017 sei erst am 2. Januar 2018 […] eingegangen mit der Folge, dass sich wegen § 66 Abs. 3 EStG keine Nachzahlung des festgesetzten Kindergeldes für August 2014 bis Juni 2017 ergebe.“ Zugleich beantragte der Kläger Akteneinsicht.
Ohne dem Kläger zuvor Akteneinsicht gewährt oder eine Entscheidung über den Akteneinsichtsantrag mitgeteilt zu haben und ohne ihm Gelegenheit gegeben zu haben, seinen Einspruch schriftlich zu begründen, wies die Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Sie verwies zur Begründung auf die Regelung in § 66 Abs. 3 EStG, die seit dem 1. Januar 2018 in Kraft sei. Der Antrag sei am 2. Januar 2018 bei der Beklagten eingegangen. Poststücke gingen bei der Beklagten grundsätzlich im Original ein. Am gleichen Tag erhielten sie einen Eingangsstempel und würden anschließend an das Scanzentrum weitergegeben. Dementsprechend sei der Antrag am 3. Januar 2018 im Scanzentrum eingescannt worden. Im Übrigen trage der Kläger das Risiko des rechtzeitigen Eingangs des Kindergeldantrags. Maßgeblich sei allein, wann der Kindergeldantrag bei der Familienkasse eingehe. Postumlaufzeiten, Umlaufzeiten der Hauspost und Feiertage lägen im Risiko des Klägers. Zwischen dem 22. und dem 31. Dezember 2017 sei die Familienkasse an den Arbeitstagen (22., 27., 28. und 29. Dezember) besetzt gewesen. Wäre der Antrag bereits 2017 eingegangen, wäre dieser unverzüglich mit einem tagesaktuellen Posteingangsstempel versehen worden.
Der Kläger hat Klage erhoben ”gegen den Bescheid vom 12. März in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. April 2018“. Es gehe um die Anwendung des § 66 Abs. 3 EStG.
Der Kläger macht geltend, die Antragsunterlagen am 22. Dezember 2017 mit der Dienstpost zur Beklagten geschickt zu haben. Der Eingang sei dort offensichtlich verspätet erfasst worden. Er macht geltend, der Antrag sei zunächst eingescannt worden und erst nach dem Scanvorgang mit einem Eingangsstempel versehen worden. Die Beklagte hätte den Briefumschlag, der sich nicht bei den Akten befinde, mit einem Eingangsstempel versehen müssen. Der Kläger beruft sich zum Nachweis des von ihm geltend gemachten Geschehensablauf auf eine interne Anweisung der K. für den Umgang mit Eingangspost. Im Übrigen wisse er aus Erfahrung, dass es zu Unregelmäßigkeiten beim Posteingang kommen könne.
Der Kläger beantragt,
die Nichtauszahlungsverfügung der Beklagten vom 12. März 2018 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13. April 2018 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte macht geltend, dass § 66 Abs. 3 EStG anzuwenden sei, da der Antrag ausweislich des Eingangsstempels am 2. Januar 2018 eingegangen sei...