Verfahrensgang
VG Lüneburg (Beschluss vom 30.03.2005; Aktenzeichen 5 A 127/03) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg – 5. Kammer – vom 30. März 2005 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die zulässige, insbesondere nicht nach den §§ 158 oder 146 Abs. 3 VwGO ausgeschlossene Beschwerde ist unbegründet, da das Verwaltungsgericht zu Recht dem Antrag des Klägers stattgegeben hat, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig zu erklären.
Dass der Kläger zur Durchsetzung seines streitigen Anspruches auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente ohne belastende Nebenbestimmungen in einem Vorverfahren grundsätzlich der anwaltlichen Unterstützung i.S.d. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO bedurfte, ist zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig. Die Beklagte wendet jedoch sinngemäß ein, dass ein „Vorverfahren” i.S.d. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO vorliegend gar nicht „geschwebt habe”. Deshalb habe nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren auch nicht für notwendig erklärt werden dürfen. Denn es reiche nicht aus, wenn tatsächlich – wie hier – ein Widerspruchsverfahren gemäß §§ 68 ff. VwGO durchgeführt worden sei. Dieses Widerspruchsverfahren müsse vielmehr als Sachurteilsvoraussetzung auch erforderlich gewesen sein. Daran fehle es hier aus den im Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 16. März 2005 genannten Gründen. Dieser Einwand der Beklagten greift jedoch nicht durch.
Dem Verwaltungsgericht ist im Ergebnis darin zu folgen, dass hier ein „Vorverfahren” i.S.d. § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO „geschwebt hat”. Nach Wortlaut und Sinn und Zweck der Regelung sowie der Systematik der VwGO ist das jedenfalls dann der Fall, wenn – wie hier aus den nachfolgend angeführten Gründen – gegen den angefochtenen Bescheid nach der ihm beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung Widerspruch nach § 68 VwGO zu erheben war, diese Rechtsbehelfsbelehrung für den Betroffenen auch nicht erkennbar unzutreffend gewesen und daraufhin vor Klageerhebung tatsächlich ein Widerspruchsverfahren durchgeführt worden ist.
Für diese Auslegung spricht bereits der Wortlaut des ersten Halbsatz von § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO, der keine Einschränkung dahin gehend enthält, dass ein – nach § 68 VwGO – „notwendiges” Vorverfahren geschwebt haben muss. Sinn und Zweck der Regelung ist es gemäß dem in § 162 Abs. 1 VwGO enthaltenen allgemeinen Grundsatz, dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren obsiegenden Beteiligten auch die anwaltlichen Kosten des Vorverfahrens zu erstatten, wenn diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig gewesen sind. Die Notwendigkeit einer Aufwendung beurteilt sich dabei aus der Sicht eines verständigen Beteiligten, der bemüht ist, die Kosten so niedrig wie möglich zu halten. Abzustellen ist auf den Zeitpunkt, in dem die die Aufwendungen verursachende Handlung vorgenommen worden ist. Ohne Belang ist es hingegen, ob sich die Handlung hinterher als unnötig herausstellt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 3.7.2000 – 11 A 1/99 –, NJW 2000, 2832 f., m. w. N.).
Ein verständiger Beteiligter wird jedoch gegen einen ihn belastenden, für rechtswidrig erachteten Verwaltungsakt entsprechend der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung vorsorglich Widerspruch einlegen und nicht unmittelbar Klage erheben, wenn diese Rechtsbehelfsbelehrung für nicht erkennbar unzutreffend ist. Auf die Richtigkeit einer solchen Rechtsbehelfsbelehrung darf er nämlich grundsätzlich vertrauen; im Falle der Unrichtigkeit der Belehrung kann er notfalls gemäß §§ 58 Abs. 2, 60 Abs. 2 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich einer verstrichenen Klagefrist beantragen. Würde der Beteiligte hingegen trotz entgegenstehender Belehrung unmittelbar Klage erheben, so würde der angegriffene Verwaltungsakt im Falle der Richtigkeit der Belehrung mangels fristgerechter Durchführung des dann notwendigen Vorverfahrens bestandskräftig. Das wird ein verständiger Beteiligter nicht riskieren.
Dass eine Behörde, die zu Unrecht über die Notwendigkeit der Einlegung eines Widerspruches belehrt und nach Einlegung eines solchen auch tatsächlich ein Widerspruchsverfahren durchführt, im Falle des späteren Obsiegens des Widerspruchsführers im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zusätzlich die Kosten eines – möglicherweise objektiv unnötigen – Widerspruchsverfahrens zu tragen hat, entspricht im Übrigen auch dem Sinngehalt des § 155 Abs. 5 VwGO. Danach hat die Behörde die zusätzlichen Kosten, die dadurch entstanden sind, dass ein Beteiligter sich einer unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung entsprechend verhalten hat, zu erstatten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.6.1980 – 1 WB 130/79 –, BVerwGE 73, 21, 23). Für die Erstattungsfähigkeit von Anwaltskosten im Vorverfahren nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO gilt nichts anderes.
Hieran gemessen hat das Verwaltungsgericht gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO zu Recht die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten ...