Entscheidungsstichwort (Thema)
Erdrückende Wirkung. Gebietscharakter, Wandel des Gebot der Rücksichtnahme. Nachbarklage. Reines Wohngebiet. Wohnheim für Verwirrte. Zulässigkeit eines Wohnheims für altersverwirrte Menschen. Veränderung des Gebietscharakters durch BauNVO1990
Leitsatz (amtlich)
Ein Baugebiet, das aus Wohnhäusern und einem Altenpflegeheim gebildet wird, kann sich durch die BauNVO 1990 vom faktischen Allgemeinen Wohngebiet zum Reinen Wohngebiet wandeln.
Ein Wohnheim für verwirrte alte Menschen ohne medizinische Leitung, in dem die Bewohner mit eigenen Möbeln wohnen und von ihren eigenen Hausärzten betreut werden, ist nach § 3 Abs. 4 BauNVO 1990 im Reinen Wohngebiet zulässig.
Zur erdrückenden Wirkung einer Nachbarbebauung
Normenkette
BauGB 34 II; BauNVO 15 I; BauNVO 3 IV
Verfahrensgang
VG Hannover (Urteil vom 28.09.2000; Aktenzeichen 4 A 2586/00) |
Tatbestand
Die Kläger wenden sich gegen einen Vorbescheid für ein Wohnheim für desorientierte Menschen, das im Anschluss an ein von dem Beigeladenen seit längerem betriebenes Altenheim inzwischen bereits errichtet worden ist.
Die Kläger sind Eigentümer der Grundstücke G. Allee 5 (1 LB 140/02 – nachfolgend „Kläger” genannt) und G. Allee 7 (1 LB 141/02 – nachfolgend „Klägerin” genannt). Diese sind ebenso wie das Grundstück des Beigeladenen, welches südwestlich und südlich davon liegt, unbeplant und liegen am Ortsrand von H. am Nordhang des I.. Die Grundstücke der Kläger liegen an der Südostseite der G. Allee, die etwa von Osten kommend den J. hang hinaufführt. Beide Grundstücke sind bebaut. Der winkelförmige Bungalow der Klägerin ist – als einziges der Wohnhäuser, die im Dreieck zwischen der G. Allee im Nordwesten, der K. straße im Osten und dem Grundstück des Beigeladenen im Süden stehen – weit von der Straße zurückgesetzt errichtet; die Entfernung zwischen seiner Nordwand und der Straße beträgt rund 50 m. Das Wohnhaus des Klägers steht – durch das Grundstück G. Allee 5 a nach Osten vom Grundstück der Klägerin getrennt – etwa mittig auf seinem Grundstück in einer Entfernung von rund 15 m zur Straße.
Der Komplex, in dem der Beigeladene ältere Menschen betreut, ist in mehreren Bauabschnitten entstanden. Der älteste, zweigeschossige Teil („Altenheim”) steht parallel zum L. weg, der südöstlich parallel und oberhalb der G. Allee verläuft. An sein Nordostende angefügt ist ein Flügel, der nach Nordwesten weist. An diesen baute der Beigeladene mit Genehmigung des Rechtsvorgängers der Beklagten vom 23. August 1983 ein dreigeschossiges Gebäude an, dessen Nordwestwand – gemessen vom L. weg – rund 85 m in den Grundstücksbereich hineinragt, etwa auf einer Höhe liegt mit der Südostwand des Winkelbungalows der Klägerin und zu deren Haus einen Abstand von rund 16 m einhält. In diesem Flügel sind nach der genehmigten Betriebsbeschreibung „Altenwohnungen” eingerichtet, in denen ältere Personen die Möglichkeit haben, weiterhin selbstständig zu wohnen. Die Nähe des Altenheimes eröffnet die Möglichkeit, bei schlechter werdendem Gesundheitszustand die umfassende Heimversorgung in Anspruch nehmen zu können oder in das Heim umzuziehen, in dem seinerzeit eine Pflegestation mit ca. 40 Betten sowie ca. 36 Altenheimplätzen vorhanden und 38 Mitarbeiter beschäftigt waren.
Diese Genehmigung von 1983 war Gegenstand des Eilverfahrens zum Aktenzeichen 6 OVG B 151/83, in dem sich der Rechtsvorgänger der Klägerin ohne Erfolg gegen den ihm nachteiligen Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vom 24. November 1983 – 4 VG D 40/83 – wehrte. Der 6. Senat des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg führte darin unter anderem aus, das angegriffene Vorhaben halte nicht nur den Grenzabstand ein, sondern genüge auch dem Gebot der Rücksichtnahme. Es treffe zwar zu, dass alle Grundstücke östlich des Heimes und zwischen den beiden oben erwähnten Straßen ausschließlich zu Wohnzwecken genutzt würden. Die schon vorhandene Bebauung des Altenheimes präge die Eigenart der Umgebung indes maßgeblich mit und belaste das Grundstück des Antragstellers (des damaligen Verfahrens) damit vor. Deshalb sei das Vorhaben weder seiner Art noch seinem gewählten Standort nach rücksichtslos. Gewisse Beeinträchtigungen durch den Baukörper seien zwar nicht zu verkennen; die „Schokoladenseite” seines Grundstücks werde durch die angegriffene Maßnahme indes nicht verbaut.
Am 10. Februar 1999 erhielt die Beigeladene vom Rechtsvorgänger der Beklagten den hier angegriffenen Bauvorbescheid zur Errichtung eines zweieinhalbgeschossigen Wohnheimes für desorientierte Menschen, das – ohne mit dem vorhandenen Komplex baulich verbunden zu sein – rund 9 m nordöstlich davon auf den Flurstücken 76/4 und 74/2 errichtet werden soll, welche sich südöstlich an das Grundstück der Klägerin anschließen. Das ca. 35 m lange Gebäude soll in Nordwest-/Südostrichtung errichtet werden und mit seiner Schmalseite (Nordwestwand) etwa 8,5 m an das Grundstück der Klägerin heranreichen. Es ist zwischenzeitlich auf der Grundlage einer ebenfalls angefochtenen Baugenehmigung fe...