Gerhard Ring, Line Olsen-Ring
1. Prinzipien
Rz. 16
Das norwegische Erbrecht basiert auf den Grundsätzen des Parentel-, des Stammes- und des Liniensystems sowie dem Repräsentationsprinzip. Die gesetzlichen Erben sind in Ordnungen unterteilt, innerhalb der Ordnung wird nach Linien vererbt. Innerhalb einer Linie schließt jeder Erbe seine Abkömmlinge als Erben aus.
2. Gesetzliches Erbrecht aufgrund von Verwandtschaft
Rz. 17
Gesetzliche Erben der ersten Ordnung sind nach § 4 Abs. 1 ADL die Abkömmlinge des Erblassers (sog. "Leibeserben", livsarvinger). Vorbehaltlich anderweitiger gesetzlicher Bestimmungen erben diese zu gleichen Teilen. Bei Vorversterben eines Kindes haben dessen Abkömmlinge ein Eintrittsrecht und erben nach Stämmen. Nichteheliche Abkömmlinge erben zu gleichen Teilen wie eheliche, wenn die Vaterschaft gesetzlich festgestellt worden ist. Adoptivkinder sind leiblichen Kindern gleichgestellt.
Rz. 18
Erben der zweiten Ordnung sind die Eltern und deren Abkömmlinge. Die Eltern erben zu gleichen Teilen. Ist ein Elternteil verstorben, treten nach § 5 Abs. 1 ADL dessen Abkömmlinge, also Geschwister, Nichten und Neffen etc. des Erblassers, an dessen Stelle.
Rz. 19
Erben der dritten Ordnung sind die Großeltern und deren Abkömmlinge. Die Großeltern erben zu gleichen Teilen. Ist einer der Großeltern verstorben, treten dessen Abkömmlinge an seine Stelle. Entfernteren Verwandten als Enkel der Großeltern steht jedoch nach § 6 ADL kein gesetzliches Erbrecht zu.
3. Erbrecht des Ehegatten
a) Umfang des Erbrechts
Rz. 20
Die Rechtsstellung des überlebenden Ehegatten beruht vor allem auf den gesetzlichen Regelungen des ADL über das gesetzliche Erbrecht, das Mindesterbe des Ehegatten, das Recht, den Nachlass ungeteilt zu übernehmen (uskifte) – womit weder eine güter-, noch eine erbrechtliche Auseinandersetzung stattfindet – sowie das testamentarische Erbrecht. Weiterhin hat der eheliche Güterstand maßgebliche Bedeutung für die vermögensrechtliche Stellung des überlebenden Ehegatten. Die Zuweisung eines gesetzlichen Erbrechts an den überlebenden Ehegatten findet nämlich erst nach einer güterrechtlichen Auseinandersetzung statt, die den Umfang der Erbmasse bestimmt. Aus Vorbehaltsgut des Erblassers erhält der überlebende Ehegatte allein seinen Erbanteil. Aus jenem Gemeinschaftsgut der Ehegatten, das bei Auflösung der Ehe einer hälftigen Teilung unterliegt, erhält er im Rahmen der der Nachlassauseinandersetzung vorausgehenden güterrechtlichen Teilung diese Hälfte. Güterrechtlich entsteht in der Praxis oftmals eine Situation, die der deutschen Zugewinngemeinschaft nicht unähnlich ist.
Ehegatten gleichgestellt sind registrierte Lebenspartner, die ihre Partnerschaft noch nicht in eine Ehe haben umwandeln lassen.
Rz. 21
§§ 8 und 9 ADL regeln den Umfang des gesetzlichen Erbrechts eines Ehegatten in Abgrenzung zu anderen Erben. Danach hat der überlebende Ehegatte neben gesetzlichen Erben der ersten Ordnung Anspruch auf ein Viertel (§ 8 ADL) und neben gesetzlichen Erben der zweiten Ordnung Anspruch auf die Hälfte des Nachlasses (§ 9 ADL). Sind nur entferntere Verwandte vorhanden, wird der überlebende Ehegatte Alleinerbe.
b) Mindesterbe des Ehegatten
Rz. 22
Nach § 8 ADL hat der überlebende Ehegatte in jedem Fall einen Anspruch auf einen Pflichtteil (Mindesterbanspruch, minstearv). Dieses Recht des Ehegatten ist 1990 eingeführt worden. Von diesem Mindesterbanspruch, dem der Charakter einer sozialen Mindestabsicherung zukommt, kann auch testamentarisch nicht abgewichen werden. Der Mindesterbanspruch beläuft sich, wenn der Erblasser Abkömmlinge hinterlässt, auf den vierfachen Grundbetrag der Volksversicherung. Der Grundbetrag beträgt seit dem 1.5.2023 118.620 NOK (umgerechnet knapp 10.500 EUR). Er wird jährlich angepasst. Im Erbfall ist somit jeweils der aktuelle Satz zu ermitteln. Hinterlässt der Erblasser keine Abkömmlinge, erhöht sich der Mindesterbanspruch auf den sechsfachen Grundbetrag.
Rz. 23
Der Mindesterbanspruch des Ehegatten in Höhe des vierfachen oder sechsfachen Grundbetrages geht dem Pflichtteilsrecht der Abkömmlinge des Erblassers vor mit der Folge, dass bei einem Nachlass bis zur Höhe des vierfachen Grundbetrages die Erben erster Ordnung leer ausgehen.
Das Erbrecht des Ehegatten nach den §§ 8 und 9 ADL entfällt, wenn einer der Ehegatten vor dem Todeszeitpunkt des Erblassers einen Antrag auf Trennung (separasjonsbegjæring) gestellt bzw. Scheidungsklage vor Gericht eingereicht hat (§ 11 ADL).
c) Recht auf fortgesetzte Gütergemeinschaft (uskifte)
Rz. 24
Lebte der Erblasser im gesetzlichen Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft nach Maßgabe des norwegischen Rechts, kann der überlebende Ehegatte nach § 14 Abs. 1 ADL durch Anzeige gegenüber den anderen gesetzlichen Erben des Erblassers das eheliche Gemeinschaftsgut (felleseiga) ungeteilt übernehmen (uskifte, Recht auf fortgesetzte Gütergemeinschaft). Eine solche Erklärung muss nach § 19 i.V.m. § 96 ADL innerhalb von 60 Tagen nach dem Todesfall gegenüber dem Nachlassgericht (tingrett) erklärt werden.
Rz. 25
In der Praxis ist ...