Zusammenfassung
Bei der Berechnung der maßgeblichen Anzahl der Mitarbeiter eines Unternehmens für die Frage, ob ein Mitbestimmungsrecht nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG besteht und daher ein paritätisch zu besetzender Aufsichtsrat zu bilden ist, sind in ausländischen Betriebstätten beschäftigte Arbeitnehmer nicht mitzuzählen. Die maßgebliche Anzahl ermittelt sich allein aus den im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland beschäftigten Arbeitnehmern.
Hintergrund
Die Antragsgegnerin, eine Aktiengesellschaft, beschäftigte zum maßgeblichen Zeitpunkt konzernweit auf Vollzeitkräfte umgerechnet 2.917 Mitarbeiter. In Deutschland wurden hiervon 1.615 Arbeitnehmer beschäftigt. Der Aufsichtsrat der Antragsgegnerin war mit drei Mitgliedern besetzt und nach dem Drittelbeteiligungsgesetz gebildet. Nach dem Mitbestimmungsgesetz wäre hingegen bei einer über 2.000 hinausgehenden Anzahl an Arbeitnehmern ein zwölfköpfiger Aufsichtsrat zu bilden, der sich aus je sechs Mitgliedern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer zusammensetzt. Dies wäre im entschiedenen Fall nur dann erforderlich, wenn auch die im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer der Tochtergesellschaften der Antragsgegnerin für die Berechnung des Schwellenwerts mitzuzählen wären.
Der Antragsteller, ein Aktionär der Antragsgegnerin, beantragte daher die gerichtliche Entscheidung, dass die Zusammensetzung des Aufsichtsrats nicht rechtskonform sei. Er argumentiert, die im Ausland angestellten Arbeitnehmer seien bei der Berechnung des Schwellenwerts mitzuzählen, der Schwellenwert werde daher erreicht.
Das Urteil des LG Hamburg v. 6.2.2018, 403 HKO 131/17
Das LG Hamburg hat den Antrag zurückgewiesen. Für den in § 1 Abs. 1 Nr. 2 MitbestG genannten Schwellenwert von 2.000 Arbeitnehmern seien allein die im Inland beschäftigten Arbeitnehmer maßgeblich. Dies folge bereits aus dem Territorialitätsprinzip, wonach Arbeitnehmer, die in ausländischen Betriebsstätten inländischer Unternehmen oder in ausländischen Betriebsstätten ausländischer Tochtergesellschaften beschäftigt werden, nicht vom Anwendungsbereich deutscher Normen erfasst werden. Ferner spreche auch der Zweck des Mitbestimmungsgesetzes, das eine gleichberechtigte und gleichgewichtige Teilnahme von Anteilseignern und Arbeitnehmern an den Entscheidungsprozessen im Unternehmen bewirken solle, für keine andere Auslegung. Denn für dieses Ziel sei es nicht maßgeblich, ob die Arbeitnehmer ausländischer Betriebsstätten mitgezählt würden. Vielmehr spreche der Umstand, dass im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer bei den Wahlen zum Aufsichtsrat nicht wahlberechtigt sind, dafür, sie auch nicht für die Schwellenwerte zu berücksichtigen; es sei inkonsequent, im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer zwar zur Ermittlung des Schwellenwertes heranzuziehen, diese dann aber von der Wahl der Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat auszuschließen. Auch aus Gründen des europäischen Rechts sei eine Berücksichtigung der im Ausland tätigen Konzernmitarbeiter bei der Berechnung der Schwellenwerte nicht geboten.
Die Auswirkungen des Urteils des LG Hamburg für die Praxis
Die Frage, ob ausländische Arbeitnehmer bei der Berechnung des Schwellenwerts des § 1 Abs. 1 MitbestG mitzuzählen sind, ist in der Instanzrechtsprechung und einschlägigen Literatur umstritten und höchstrichterlich bislang nicht entschieden. Für die herrschende Auffassung, die auch das LG Hamburg mit der aktuellen Entscheidung teilt, spricht ferner ein Urteil des EuGH vom 18.7.2017 (C-566/15 – Erzberger gegen TUI AG). Der EuGH hat nach Vorlage durch das Kammergericht Berlin bezüglich der verwandten Frage nach dem aktiven und passiven Wahlrecht von im Ausland beschäftigten Arbeitnehmern bei Wahlen der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat die entsprechenden Bestimmungen des Mitbestimmungsgesetzes für europarechtskonform erklärt und damit das Territorialitätsprinzip bestätigt.
Das Urteil des LG Hamburg festigt, wie zuletzt auch das OLG Frankfurt a.M. (25.5.2018, 21 W 32/18), die vorzugswürdige herrschende Auffassung und ist deshalb zu begrüßen. Das OLG Frankfurt hat in der genannten Entscheidung die Rechtsbeschwerde zum BGH nicht zugelassen, da keine ernsthaften Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der herrschenden Auffassung bestünden und die Rechtsfrage auch nicht klärungsbedürftig sei. Eine höchstrichterliche Entscheidung des BGH zur endgültigen Klärung ist deshalb derzeit kaum zu erwarten.