Prof. Dr. Susanne Ferrari, Dr. Marion Koch-Hipp
Rz. 108
Ist die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten seit mindestens drei Jahren aufgehoben und die Ehe – mit oder ohne Verschulden der Gatten – vollkommen und unheilbar zerrüttet, so kann jeder Ehegatte die Scheidung begehren (§ 55 Abs. 1 S. 1 EheG). Das Gesetz stellt hier auf objektive Gegebenheiten (Auflösung der Gemeinschaft und Zerrüttung der Ehe) ab, sodass auch derjenige Ehegatte, der für das Zugrundegehen der Ehe verantwortlich ist, die Scheidung verlangen kann. Die Rechtsprechung nimmt eine Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft nicht nur dann an, wenn die Ehegatten nicht mehr in einer gemeinsamen Wohnung verbleiben, sondern auch dann, wenn diese in verschiedenen Zimmern einer gemeinsamen Wohnung leben und eine gemeinsame Wirtschaftsführung und Lebensgestaltung nicht mehr gegeben ist. Ist ein Ehegatte bloß faktisch abwesend (Beruf, Haftaufenthalt), führt dies nach überwiegender Rechtsprechung zu keiner Aufhebung. Die Dreijahresfrist läuft ab dem Zeitpunkt der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft; bei Wiederaufnahme der Gemeinschaft – wenn auch nur für kurze Zeit – beginnt die Frist neu zu laufen. Bei nur gelegentlichen Besuchen ist dies aber nicht der Fall.
Rz. 109
Dem Scheidungsbegehren eines Ehegatten ist jedoch nicht stattzugeben, wenn das Gericht zur Überzeugung gelangt, dass die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft zu erwarten ist (§ 55 Abs. 1 S. 2 EheG). Die Klage ist dann von Amts wegen abzuweisen.
Rz. 110
Überdies kann der beklagte Ehegatte dann, wenn der Kläger die Zerrüttung allein oder überwiegend verschuldet hat, einen Härteeinwand erheben: Er kann mittels Antrags geltend machen, dass ihn die Scheidung härter träfe als den Kläger die Abweisung des Scheidungsbegehrens. Bei dieser Interessenabwägung ist auf alle Umstände des Falles, besonders auf die Dauer der ehelichen Lebensgemeinschaft, das Wohl der Kinder sowie auf die Dauer der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft, Bedacht zu nehmen (§ 55 Abs. 2 EheG). Bei begründetem Widerspruch ist das Scheidungsbegehren abzuweisen. Nach der Judikatur ist eine Verweigerung der Scheidung nur bei schwerwiegenden Umständen, aus denen sich eine besondere Härte für den beklagten Ehegatten ergibt, gerechtfertigt; beispielsweise, wenn die Scheidung beim beklagten Ehegatten eine gesundheitliche Katastrophe auslösen könnte. Bei gleicher Härte ist die Ehe allerdings zu scheiden. Die Härteklausel spielt jedoch in der Praxis kaum eine Rolle, weil sie nur einen Scheidungsaufschub bis zum Ablauf einer sechsjährigen Heimtrennung bewirken kann. Ist die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten nämlich seit sechs Jahren aufgehoben, so muss dem Scheidungsbegehren stattgegeben werden (§ 55 Abs. 3 EheG). Nach Ablauf dieser Zeit finden eine Zerrüttungsprüfung und Härteabwägung nicht mehr statt; man spricht von "Scheidungsautomatik".