Entscheidungsstichwort (Thema)
Zustellung. Urteil. Verteidiger. Fahrverbot. Frist
Leitsatz (amtlich)
1. Die Zustellung des schriftlichen Urteils an den Verteidiger ist auch dann wirksam, wenn sich bei den Akten zwar keine gesetzliche Verteidigervollmacht i. S.v. § 145a I StPO (i. V. m. § 46 I OWiG) befindet, dem Verteidiger als Vertreter aber schon zuvor eine auch noch im Zeitpunkt der Zustellung fortbestehende Zustellungsvollmacht erteilt wurde und dies - ggf. nachträglich - eindeutig, insbesondere durch ein vom Verteidiger unterzeichnetes Empfangsbekenntnis, nachgewiesen ist (u. a. Anschluss an BayObLG, Beschl. v. 14.01.2004 - 2St RR 188/03 = BayObLGSt 2004, 1 = NJW 2004, 1263 = wistra 2004, 198 = VRS 106 [2004], 292 = ZfS 2004, 282 = DAR 2004, 405 und OLG Karlsruhe, Beschl. v. 08.10.2015 - 2 [7] SsBs 467/15 = BeckRS 2015, 17136).
2. Ist das angefochtene Urteil dem Verteidiger nach dieser Maßgabe bereits wirksam zustellt worden, wird die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist durch eine deshalb überflüssige "Zweitzustellung" des Urteils nicht nochmals in Lauf gesetzt.
Normenkette
StPO § 45 Abs. 1 S. 1, § 145a Abs. 1, § 345 Abs. 1, § 346; OWiG § 46 Abs. 1
Tatbestand
Das AG hat den Betr. am 04.08.2016 wegen fahrlässiger Überschreitung der außerhalb geschlossener Ortschaften zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 41 km/h entsprechend der schon im Bußgeldbescheid vorgesehen Rechtsfolgen zu einer Geldbuße von 320 € und verhängte gegen ihn ein mit einer Anordnung gemäß § 25 IIa StVG versehenes Fahrverbot für die Dauer 1 Monats. Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil legte der Betr. am 09.08.2016 Rechtsbeschwerde ein. Das mit Gründen versehene Urteil wurde dem Verteidiger des Betr., für den sich bei den Akten keine Vollmacht befand und auch nicht nachgereicht wurde, auf richterliche Verfügung hin am 05.09.2016 zugestellt und dem Betr. formlos mitgeteilt, Das vom Verteidiger unter dem 05.09.2016 unterzeichnete und zur Akte gelangte Empfangsbekenntnis enthält den Passus: "Ich bin zur Entgegennahme legitimiert und habe heute erhalten: Urteil vom 04.08.2016." Das AG verwarf die Rechtsbeschwerde mit dem Verteidiger am 20.10.2016 zugestellten Beschluss vom 14.10.2016 gem. § 346 I StPO als unzulässig, weil sie nicht innerhalb der Monatsfrist nach Zustellung des Urteils begründet worden sei. Mit am selben Tag eingegangenem Schriftsatz der Verteidigung vom 21.10.2016 beantragte Betr. gegen den Beschluss vom 14.10.2016 die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts mit der Begründung, dass eine Zustellung des Urteils an den Betr. (noch) nicht erfolgt sei, weshalb auch die Frist zur Begründung des Rechtsmittels noch nicht zu laufen begonnen habe. Von einer wirksamen Zustellung an den Verteidiger sei mangels Vorliegens einer bei den Akten befindlichen Vollmacht nicht auszugehen. Hierauf veranlasste die GenStA die Zurückleitung der Akte an das AG zur Nachholung der Urteilszustellung, woraufhin das Urteil aufgrund richterlicher Verfügung vom 11.11.2016 hin am 15.11.2016 dem Betroffenen durch Einlegung in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten zugestellt wurde. Mit der Aktenzuleitung an den Senat beantragte die GenStA sodann, den Antrag des Betr. auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts als unbegründet zu verwerfen. Mit an diesem Tag beim OLG eingegangenem Schriftsatz vom 13.01.2017 beantragte der Verteidiger hierauf rein vorsorglich die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Rechtsmittelbegründungsfrist.
Das OLG hat das Wiedereinsetzungsgesuch als unzulässig und den Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts als unbegründet verworfen.
Entscheidungsgründe
I. Der Antrag des Betr. auf Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde [...], über den das Rechtsbeschwerdegericht [...] vorrangig zu entscheiden hat (Meyer-Goßner/Schmitt StPO 59. Aufl. § 346 Rn. 16 f.), ist unzulässig.
1. Die Begründung der Rechtsbeschwerde ist nicht innerhalb der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist des § 345 I StPO i. V. m. § 79 III 1 OWiG angebracht worden. Die Frist des § 345 I StPO begann mit Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils an den Verteidiger am 05.09.2016. Zwar befand sich eine schriftliche Vollmacht des Verteidigers gemäß § 145a StPO nicht bei der Akte, weshalb nicht vom Vorliegen einer gesetzlichen Zustellungsvollmacht auszugehen ist. Allerdings wird durch die Regelung zur gesetzlichen Zustellungsvollmacht in § 145a I StPO eine rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht für den Verteidiger als Vertreter für die Entgegennahme von Zustellungen nicht ausgeschlossen (OLG Stuttgart, Beschl. v. 12.12.2002 - 4 Ss 549/02 = Justiz 2003, 300 = OLGSt StPO § 145a Nr. 3). Da für die rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht die besondere Vorschrift des § 145a I StPO i. V. m. § 46 I OWiG nicht gilt, können an ihren Nachweis geringere Anforderungen gestellt werden. So muss die Vollmacht nicht schriftlich niedergelegt und auch zum Zeitpunkt der Zustellung noch nicht ...