Entscheidungsstichwort (Thema)
Erforderlichkeit der Hinzuziehung eines Sachverständigen in Sorgerechts- und Umgangsrechtsverfahren
Leitsatz (redaktionell)
In Sorgerechts- und Umgangsrechtsverfahren sind ohne Verfassungsverstoß Entscheidungen ohne sachverständige Untersuchung nur noch bei einfachen Sachverhalten möglich.
Normenkette
BGB § 1684
Verfahrensgang
AG Wunsiedel (Beschluss vom 22.10.2009; Aktenzeichen 2 F 306/09) |
Tenor
I. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des AG - Familiengerichts - Wunsiedel vom 22.10.2009 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das AG - Familiengericht - Wunsiedel zurückverwiesen.
II. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
III. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Das AG - Familiengericht - Wunsiedel hat mit Beschluss vom 22.10.2009 den Antrag des Antragstellers auf Umgang mit dem Kind C., geb. am xx. xx. 1999, abgewiesen und den Umgang bis mindestens 1.4.2010 ausgesetzt.
Auf die tatsächlichen Feststellungen sowie die rechtliche Würdigung des festgestellten Sachverhalts durch das erstinstanzliche Gericht wird Bezug genommen.
Gegen den dem Antragsteller am 26.10.2009 zugestellten Beschluss hat dieser am 2.11.2009 Beschwerde eingelegt und diese zugleich begründet.
Die Beschwerde führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das erstinstanzliche Gericht, weil die erstinstanzliche Entscheidung nicht über eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage verfügt.
Das BVerfG hat wiederholt entschieden, dass die Fachgerichte, auch wenn sie nicht stets gehalten sind, ein Sachverständigengutachten einzuholen, zumindest anderweitig über eine möglichst zuverlässige Grundlage verfügen müssen, wenn sie von der Beiziehung eines Sachverständigen absehen (u.a. BVerfG FamRZ 2009, 1389 ff. m.w.N.). Bieten die vom Gericht herangezogenen Erkenntnisquellen keine hinreichend verlässliche Erkenntnisgrundlage, darf nicht ohne ergänzende sachverständige Beurteilung entschieden werden (BVerfG, a.a.O.).
Nach § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB darf eine Entscheidung, die das Umgangsrecht oder seinen Vollzug für längere Zeit oder auf Dauer einschränkt oder ausschließt, nur ergehen, wenn andernfalls das Wohl des Kindes gefährdet wäre. Das erstinstanzliche Gericht hat allein auf die eindeutig ablehnende Haltung des Kindes C. abgestellt, die in keinster Weise deutlich beeinflusst durch die Kindsmutter sei, sowie auf eine fehlende erforderliche Verhaltensänderung des Kindsvaters und daraus geschlossen, dass die Aussetzung des Umgangs dem Kindeswohl dient. Als Erkenntnisquellen hat das erstinstanzliche Gericht die persönliche Anhörung des Kindes sowie Aussagen in den im Sorgerechtsverfahren ergangenen Sachverständigengutachten zitiert. Im Sorgerechtsverfahren hat allerdings der Senat im Beschwerdeverfahren (7 UF 184/09) ein ergänzendes Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben, so dass insoweit zumindest von der Änderung des erstinstanzlich festgestellten Sachverhalts auszugehen ist. Aus den Gründen des erstinstanzlichen Beschlusses ist nicht zu entnehmen, dass der Umgang wegen Kindeswohlgefährdung auszuschließen sei. Es ist auch nicht erkennbar, dass eine weniger einschneidende Maßnahme als der Ausschluss in Betracht gezogen und erörtert worden wäre.
Entscheidend für die Aufhebung und Zurückverweisung ist allerdings das Fehlen eines aus der Sicht des Senats erforderlichen Sachverständigengutachtens, weil die vom erstinstanzlichen Gericht herangezogenen Erkenntnisquellen keine zuverlässige Entscheidungsgrundlage bilden können. Der Wille eines Kindes kann einen Ausschluss des Umgangsrechts nur dann begründen, wenn die Überwindung dieses Willens kindeswohlgefährdend wäre. Dazu fehlen Feststellungen, die an sich nur ein psychologischer Sachverständiger treffen kann, weil den Gerichten im Regelfall die entsprechende Sachkunde fehlt. Nur ein Sachverständiger vermag unter Heranziehung seiner einem Gericht fehlenden Sachkunde mit entsprechender Exploration ausreichend zuverlässig zu beurteilen, ob jede Art von Umgang des Kindsvaters mit seinem Kind kindeswohlgefährdend ist. Dagegen spricht vorliegend schon allein die Tatsache, dass sich das Kind C. längere Zeit bei seinem Vater aufgehalten hat. Die im Sorgerechtsverfahren getroffenen Sachverständigenfeststellungen beziehen sich nicht auf die Frage eines irgendwie gearteten Umgangs des Kindes mit dem Kindsvater und können daher keine zuverlässige Entscheidungsgrundlage sein.
Der Senat weist darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des BVerfG wohl nur noch bei einfachen Sachverhalten ohne sachverständige Untersuchung Entscheidungen in Sorgerechts- und Umgangsrechtsverfahren ohne Verfassungsverstoß möglich sein dürften.
Fundstellen
Haufe-Index 2336555 |
FamRZ 2010, 741 |