Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzung für die Entlassung eines Vormunds
Leitsatz (amtlich)
1. Die Entlassung eines Vormunds ist nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nur das allerletzte Mittel.
2. Zu prüfen ist, ob durch eine Entlassung die Interessen des Mündels mehr geschädigt werden als durch eine Beibehaltung des Vormunds. Dabei sind die einzelnen Gesichtspunkte konkret abzuwägen.
3. Die Wertung des § 1791 b BGB ist in die Abwägung einzubeziehen.
4. Wird die Entlassung aufgehoben, entfällt diese rückwirkend mit Bekanntgabe des Beschlusses. Eine erneute Bestellung des (entlassenen) Vormunds erübrigt sich.
Normenkette
BGB § 1886
Verfahrensgang
AG Schweinfurt (Aktenzeichen 050 F 81/22) |
Tenor
1. Der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Schweinfurt vom 24.08.2022 wird aufgehoben.
2. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.
3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Mit ihrer Beschwerde wendet sich die zunächst vom Familiengericht mit zwei Beschlüssen vom 13.06.2022, Az. 001 F 439/22, eingesetzte Vormundin (Tante der Kinder) gegen die mit dem angefochtenen Beschluss (in welchem beide Beschlüsse zur gemeinsamen Entscheidung verbunden worden waren) vorgenommene Bestellung des Jugendamts als Vormund.
Die Tante, welche nur Paschtu spricht, hat die Vormundschaft mit Schreiben vom 23.05.2022 angeregt. Die 10 und 12 Jahre alten Kinder haben ebenfalls geäußert, dass die Vormundschaft von der Tante übernommen werden solle. Dem ist das Amtsgericht in den zwei genannten Beschlüssen zunächst nachgekommen.
Der Rechtspfleger des Amtsgerichts hat von Amts wegen nach der Anhörung der Vormundin ein Abänderungsverfahren eingeleitet und die beiden Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden. Aus Sicht des Gerichts habe sich in einem Termin ergeben, dass die Tante ungeeignet sei. Im Termin vom 13.07.2022 hat der Rechtspfleger ausweislich der Akte festgestellt, dass ein zu verwaltendes Vermögen der Kinder nicht vorhanden ist. Zudem wurde festgestellt, dass "bei der Erläuterung der Haftpflichtversicherung" der Dolmetscher erklärt habe, dass die Vormundin den Begriff "Versicherung" nicht kenne. Weiter ist vermerkt, dass die Vormundin Analphabetin ist und laut Mitteilung des Dolmetschers mit Behördenangelegenheiten "völlig überfordert" sei. Ebenso stellte der Rechtspfleger fest, dass "sie mit dem Taxi zum Gericht gefahren" ist, da eine Überforderung vorliege, öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen. Zudem ist vermerkt, dass fälschlicherweise die Dokumente der eigenen Kinder der Vormundin im Termin übergeben worden sind, statt der notwendigen Dokumente der Neffen.
Daraufhin hat der Rechtspfleger das Jugendamt zur beabsichtigten Aufhebung der Bestellung angehört. Eine Anhörung der Mündel oder der Vormundin zur beabsichtigten Aufhebung ist nicht erfolgt.
Mit Schreiben vom 01.08.2022 hat das Jugendamt Stellung genommen und mitgeteilt, dass das Jugendamt nicht zur Übernahme der Vormundschaft bereit sei, da die Tante ein geeigneter Einzelvormund sei. Die Tante der Kinder hätte zusammen mit ihren eigenen Kindern und den hier betroffenen Kindern Afghanistan verlassen und die Flucht gemeinsam gemeistert. Das Einverständnis der Eltern mit der Bestellung der Tante liege vor, diese hätten ausdrücklich gewünscht, dass sich die Tante kümmere. Bereits zuvor hätte die Tante in Afghanistan mit den Kindern in einem Haushalt (dort zusammen mit den Eltern) gelebt. Der vom Amtsgericht benannte Analphabetismus könne allein kein Grund sein. Die Tante hätte bislang die Angelegenheiten ihrer eigenen Kinder regeln können und habe auch alle Kinder sicher von Afghanistan nach Deutschland gebracht. Ein Unterschied zwischen den Angelegenheiten der eigenen Kinder und der Neffen bestehe insoweit erkennbar nicht. Das Jugendamt habe festgestellt, dass die Vormundin Unterlagen sortiert vorweisen könne und dem Jugendamt auch entscheidungserhebliche Unterlagen vorlegen konnte. Zum Ausgleich der Leseschwäche bestünde ein soziales Netzwerk. Defizite in der Kenntnis des deutschen Behördensystems könnten ausgeglichen werden.
Es wird weiter auf die Stellungnahme des Jugendamtes vom 09.06.2022 verwiesen, in welcher vermerkt ist, dass ein Termin am 07.06. ohne Schwierigkeiten mit der Vormundin durchgeführt werden konnte. Diese sei pünktlich erschienen. Unterlagen seien organisiert gewesen.
Mit Beschluss vom 24.08.2022 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Schweinfurt, Az. 050 F 81/22, Frau A. gleichwohl als Vormundin aufgrund von § 1778 Abs. 1 Nr. 4 BGB entlassen und das Landratsamt Schweinfurt bestellt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass diese untauglich sei und das Wohl der Mündel gefährden würde. Sie sei Analphabetin und mit Behördenangelegenheiten völlig überfordert. Die Anreise zum gerichtlichen Termin sei mit dem Taxi erfolgt, da öffentliche Verkehrsmittel nicht benutzt werden könnten, da die Vormundin orientierungslos sei. Sie kenne den Begriff der Haftpflichtversicherung nicht ...