Leitsatz (amtlich)

Allein die Tatsache, dass sich die Geschwindigkeitsüberschreitung zur Nachtzeit auf einer Autobahn bei geringem oder nahezu fehlendem Verkehrsaufkommen ereignet hat, rechtfertigt ohne das Hinzutreten sonstiger besonderer Umstände keine Ausnahme von einem verwirkten Fahrverbot.

 

Tatbestand

Das AG hat den geständigen Betr. wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften zu einer Geldbuße von 250 Euro verurteilt; von der Verhängung des im Bußgeldbescheid zusätzlich angeordneten Fahrverbots hat es demgegenüber abgesehen. Nach den Feststellungen befuhr der Betr. um 03.58 Uhr mit seinem Pkw Porsche die BAB in Fahrtrichtung W., wobei er die bei Km 218,5 durch Zeichen 274 angeordnete zulässige Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 44 km/h überschritt. Der für den Betr. vorliegende VZR-Auszug enthält eine Eintragung wegen einer seit Juli 2004 rechtskräftig mit einer Geldbuße geahndeten Geschwindigkeitsüberschreitung um 25 km/h. Mit ihrer zulässig auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde beanstandet die StA mit der Sachrüge, dass das AG gegen den Betr. kein Regelfahrverbot gemäß § 25 I 1 StVG, § 4 I 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.7 der Tabelle 1c zum BKat verhängt hat.

Das erfolgreiche Rechtmittel führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs und Zurückverweisung an das AG.

 

Entscheidungsgründe

1.

Gegen den Betr. kam gemäß § 25 I 1 StVG, § 4 I 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.7 der Tabelle 1c zum BKat neben der Verurteilung zu einer Regelgeldbuße von 100 Euro die Anordnung eines Fahrverbots für die Dauer eines Monats wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in der Regel in Betracht. Dies hat das AG auch keineswegs verkannt, jedoch von einem Fahrverbots bei gleichzeitiger Erhöhung des Bußgeldes mit der Begründung abgesehen, dass sich der Verstoß "zu nachtschlafender Zeit", also zu einer recht verkehrsarmen Zeit ereignet habe, weshalb die Gefährdung, die von einem deutlich zu schnell fahrenden Pkw ausgehe, als wesentlich geringer anzusehen sei als zu Tageszeiten, bei denen dichter Verkehr herrsche. Außerdem habe der Betr. den Geschwindigkeitsverstoß nicht aus grober Missachtung einer Anordnung begangen, sondern weil er infolge mangelnder Sorgfalt einfach den vor ihm fahrenden Fahrzeugen gefolgt ("mitgeschwommen") sei, ohne sich Gedanken über irgendwelche Beschränkungen zu machen oder auf die Beschilderung zu achten. Insgesamt sei der verkehrsrechtlich als nicht vorbelastet zu behandelnde Betr. nicht als 'Raser' einzuordnen, auf den einfach der Bußgeldkatalog anzuwenden sei.

2.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung nicht stand.

a)

Zwar folgt aus § 4 I 1 BKatV in der Tat nicht, dass ausnahmslos ein Fahrverbot zu verhängen wäre. Vielmehr steht dem Tatrichter ein Ermessensspielraum zu, um Verstößen im Straßenverkehr mit der im Einzelfall angemessenen Sanktion zu begegnen. Die Vorbewertung des Verordnungsgebers, der in § 4 I 1 BKatV bestimmte Verhaltensweisen als grobe Pflichtverletzungen ansieht, bei denen regelmäßig die Anordnung eines Fahrverbots in Betracht kommt, ist jedoch von den Gerichten zu beachten (BGHSt 38, 125/130 und 231/235; BayObLG VRS 104, 437/438). Entsprechend der Intention des Verordnungsgebers wird deshalb grundsätzlich - soweit der Tatbestand des § 4 I 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.7 der Tabelle 1c zum BKat erfüllt ist - das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne des § 25 I 1 StVG indiziert, so dass es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf. Diese durch den Verordnungsgeber gewollte 'Bindung' der Sanktionspraxis der Tatgerichte dient nicht zuletzt der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer (Anwendungsgleichheit) und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der tagtäglich durch eine unüberschaubare Vielzahl von Verkehrsverstößen, namentlich Geschwindigkeitsüberschreitungen, ausgelösten Rechtsfolgen (BVerfG NZV 1996, 284/285; OLG Zweibrücken DAR 2003, 531/532; KG NZV 2002, 47; Janiszewski/Jagow/Burmann Straßenverkehrsrecht 19. Aufl. § 25 StVG Rn. 10 sowie st.Rspr. des Senats, vgl. z.B. Beschlüsse vom 11.04.2006 - 3 Ss OWi 354/06 = VRR 2006, 230 f. = ZfSch 2006, 533 ff. = DAR 2006, 515 f. = VRS 111, 62 ff. und vom 26.04.2006 - 3 Ss OWi 476/06 = VRR 2006, 432 f. = Verkehrsrecht aktuell 2006, 174 = ZAP EN-Nr. 725/2006). Zu diesen Rechtsfolgen zählt deshalb auch nicht nur die hier zu beurteilende Frage, ob gegen einen Betr. (überhaupt) ein Fahrverbot zu verhängen ist (§ 4 I 1 BKatV), sondern auch, wie sich aus § 4 I 2 BKatV ergibt, die "in der Regel" festzusetzende Dauer des aufgrund einer groben Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers im Sinne von § 25 I 1 StVG verwirkten Fahrverbots und auch, ob im Einzelfall von der Möglichkeit einer nach § 25 I 1 StVG ausdrücklich vorgesehenen Fahrverbotsbeschränkung auf bestimmte Fahrzeugarten als gesetzlicher Ausdruck des rechtsstaatlichen Übermaßverbotes Gebrauch gemacht werden kann. Es ist vor diesem Hint...

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