Entscheidungsstichwort (Thema)
Konkludente Berufungsannahme
Leitsatz (amtlich)
Eine konkludente, eine spätere Nichtannahmeentscheidung ausschließende Berufungsannahme i.S.v. § 313 StPO kann im Einzelfall bereits vor Bestimmung des Termins zur Berufungshauptverhandlung in der zu deren Vorbereitung an die Verteidigung gerichteten gerichtlichen Aufforderung zur Abgabe näherer Erklärungen zu Berufungsziel und einer etwaigen Rechtsmittelbeschränkung liegen mit der Folge, dass die spätere Nichtannahme analog § 322 II StPO mit der sofortigen Beschwerde angegriffen werden kann (Fortführung u.a. von OLG Zweibrücken, Beschl. v. 17.04.2002 - 1 Ws 167/02 = NStZ-2002, 245; OLG Frankfurt, Beschl. v. 27.04.2011 - 3 Ws 402/11 = NStZ-RR 2011, 382 und OLG Celle, Beschl. v. 06.07.2011 - 2 Ws 180/11 = StraFo 2011, 403).
Normenkette
StPO § 306 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 313 Abs. 2, § 322 Abs. 2, § 322a
Tatbestand
Das AG verurteilte den in der Hauptverhandlung auf eine Rechtsmittelbelehrung verzichtenden verteidigten Angekl. am 13.01.2015 wegen unerlaubten BtM-Besitzes zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen. Der Angekl. legte hiergegen am 20.01.2015 "Rechtsmittel" ein, während die StA gegen das Urteil bereits mit Verfügung vom 13.01.2015 Berufung einlegte. Die schriftlichen Urteilsgründe wurden dem Angekl. am 22.01.2015, seinem Verteidiger am 23.01.2015 zugestellt. Die Akten wurden am 19.02.2015 der Vorsitzenden der Berufungskammer vorgelegt, die mit Verfügung vom 24.02.2015 dem Verteidiger ohne Fristsetzung folgende - der StA unbekannt gebliebene - Mitteilung zukommen ließ: "Zur Vorbereitung der Hauptverhandlung und im Hinblick auf die zu veranlassenden Ladungen wird aus Kostengründen - auch unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Beweisaufnahme 1. Instanz und der Berufung der StA - um Mitteilung des Berufungsziels und ggf. in Abstimmung mit der StA um Überprüfung der Möglichkeit einer Berufungsrücknahme, zumindest -beschränkung gebeten." Mit Beschluss vom 19.03.2015 nahm die Vorsitzende der Berufungskammer ohne weitere Hinweise oder Mitteilungen die Berufungen des Angekl. und der StA unter Bezugnahme auf § 313 II StPO jeweils nicht an, da beide als offensichtlich unbegründet anzusehen, deshalb nicht anzunehmen und als unzulässig zu verwerfen seien. Noch am Nachmittag des 19.03.2015 ging beim LG eine Stellungnahme des Verteidigers auf die gerichtliche Anfrage vom 24.02.2015 ein, in welcher dieser das Ziel der Berufung mitteilte. Die gegen die Nichtannahme der Berufung eingelegte sofortige Beschwerde des Angekl. hatte der Strafsenat zunächst mit Beschluss vom 03.06.2015 ohne eine Entscheidung über das Rechtsmittel an das LG zur Entscheidung über die Anhörungsrüge des Angekl. gegen den Beschluss vom 19.03.2015 zurückgegeben. Die Vorsitzende der Berufungskammer gab nunmehr dem Verteidiger und dem Angekl. Gelegenheit zur Stellungnahme zur Frage der Annahmeberufung und nahm die Berufungen des Angekl. und der StA mit Beschluss vom 30.09.2015 erneut nicht an. Die gegen diesen formlos versandten und am 06.10.2015 beim Verteidiger eingegangenen Beschluss legte der Angekl. am 13.10.2015 wiederum sofortige Beschwerde ein. Das Rechtsmittel erwies sich als begründet und führte zur Aufhebung der Nichtannahmeentscheidung
Entscheidungsgründe
Die sofortige Beschwerde des Angekl. ist [...] statthaft und auch im Übrigen zulässig, da form- und fristgerecht eingelegt (§§ 306 I, 311 II StPO).
1. Zwar sind Beschlüsse, mit denen gemäß § 322a StPO die Nichtannahme der Berufung beschlossen wird, gemäß § 322a S. 2 StPO grundsätzlich unanfechtbar. Dies gilt jedoch nach allgemeiner Meinung nur dann, wenn tatsächlich ein Fall des § 322a StPO vorliegt (vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt StPO 58. Aufl. § 322a Rn. 8 m.w.N.). Insoweit hat der Angekl. vorgetragen, seine Berufung sei bereits ohne gerichtliche Annahmeentscheidung zulässig, weil sich der Angekl. in der Hauptverhandlung vom 13.01.2015 mit der formlosen Einziehung sichergestellter Gegenstände (BtM) einverstanden erklärt hatte. Dies ergibt sich indessen nicht aus der gesetzlichen Regelung des § 313 I StPO und auch nicht aus der von dem Verteidiger zitierten Entscheidung (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 17.09.1998 - 2 Ws 246/98 = OLGSt StPO § 313 Nr. 6 = JR 1999, 479 = StV 2001, 333). Denn im dort entschiedenen Fall hatte das AG neben der Verhängung einer Geldstrafe die Einziehung von Gegenständen (§ 74 I StGB) im Urteil angeordnet. Dies ist vorliegend gerade nicht geschehen; der Angekl. hat sich vielmehr in der Hauptverhandlung mit der formlosen außergerichtlichen Einziehung des bei ihm sichergestellten BtM einverstanden erklärt. Folgerichtig hat das AG allein eine Geldstrafe von 15 Tagessätzen verhängt, weshalb ein Fall des § 313 I StPO vorliegt.
2. Allerdings entspricht es ganz h.M. in der obergerichtlichen Rspr. und in der Lit., dass eine konkludente Annahme einer Berufung durch das Berufungsgericht eine nachfolgende Nichtannahmeentscheidung ausschließt; in diesen Fällen ist die Nichtannahmeentscheidung entgegen ...