Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindesunterhalt: zumutbare Nebentätigkeit des Schuldners. Kindesunterhalt, hier: Zumutbare Nebentätigkeit des Schuldners
Leitsatz (amtlich)
Im Rahmen der gesteigerten Unterhaltspflicht ggü. minderjährigen Kindern kann von einem Unterhaltsschuldner auch unter Berücksichtigung einer im Einzelfall zumutbaren Nebentätigkeit keine Erwerbstätigkeit von mehr als 200 Stunden im Monat verlangt werden.
Normenkette
BGB § 1603 Abs. 2
Verfahrensgang
AG Bayreuth (Urteil vom 04.11.2004; Aktenzeichen 1 F 62/04) |
Tenor
Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Berufungsverfahrens gegen das Urteil des AG - FamG - Bayreuth vom 4.11.2004 versagt.
Gründe
Dem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren fehlt die gem. § 114 ZPO erforderliche Erfolgsaussicht.
Mit Urteil des AG - FamG - Bayreuth vom 4.11.2004 wurde der Beklagte u.a. verurteilt, an die Klägerin für die gemeinsamen Kinder Ni., geboren 29.6.1995, und S., geboren 11.10.1998, jeweils ab November 2004 laufenden Kindesunterhalt i.H.v. monatlich 185 Euro zu zahlen.
Bei der Festlegung der Höhe des Unterhalts ging das AG Bayreuth von einem fiktiven Bruttoeinkommen des Beklagten i.H.v. 1.800 Euro und einem Nettoeinkommen von 1.209,54 Euro aus. Unter Berücksichtigung seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit und der sich daraus ergebenden Verpflichtung zu Überstunden rechnete das AG Bayreuth dem Beklagten dabei ein fiktives Einkommen zu, das er bei einer monatlichen Arbeitsleistung von 200 Stunden und einem Stundenlohn von brutto 9 Euro erzielen könnte. Ausgehend von diesem fiktiv erzielbaren Nettoeinkommen gelangte das AG Bayreuth in einer Mangelfallberechnung zu einer Verteilungsquote von 76,6 % und einem sich daraus errechnenden Unterhaltsanspruch von jeweils 185 Euro monatlich für jedes Kind.
Mit der beabsichtigten Berufung will die Klägerin eine Verurteilung zu einer Zahlung von monatlich 241 Euro entsprechend der Stufe 1 der Düsseldorfer Tabelle Altersgruppe 2 erreichen. Zur Begründung wird vorgetragen, dem Beklagten sei zuzumuten, den fehlenden Betrag von noch 112 Euro durch Aufnahme kleiner Nebenbeschäftigungen hinzuzuverdienen, so dass zumindest 100 % des Regelbetrages bezahlt werden könnten.
Die beabsichtigte Berufung hat keine hinreichenden Erfolgsaussichten, da in der angefochtenen Entscheidung bereits vollumfänglich die erhöhte Erwerbsobliegenheit des Unterhaltsschuldners ggü. seinen beiden minderjährigen Kindern dadurch Berücksichtigung gefunden hat, dass ihm monatlich 200 Arbeitsstunden zugemutet und der daraus resultierende fiktive Verdienst unabhängig von seinem tatsächlichen Erwerbseinkommen angerechnet wurde. Mehr als 200 Arbeitsstunden im Monat können dem Beklagten nicht abverlangt werden, denn damit wird nicht nur eine übertarifliche Regelarbeitszeit von 42,5 Stunden wöchentlich (182,75 Stunden monatlich) eingefordert, sondern es werden auch noch 17,25 Überstunden dem Beklagten zugemutet. Auch wenn einem Unterhaltsverpflichteten fiktive Verdienste angerechnet werden, ist am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu prüfen, ob die zeitlichen und physischen Belastungen durch die ausgeübte und die zusätzliche Arbeit unter Berücksichtigung auch der Bestimmungen, die die Rechtsordnung zum Schutze der Arbeitskraft vorgibt, abverlangt werden können. Diese Grenzen sind erreicht, wenn - wie hier - 200 Stunden pro Monat abverlangt werden. Nach dem Arbeitszeitgesetz ist das Maß der zeitlichen Belastung der Arbeitskraft normiert, über das hinaus ein Arbeitnehmer auch zur Sicherung seiner Gesundheit nicht zur Arbeit herangezogen werden darf (§§ 3 und 6 ArbeitszeitG). Das heißt, dass einem Arbeitnehmer täglich nicht mehr als acht Stunden zugemutet werden dürfen. Diese Arbeitszeit kann nur auf zehn Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Monaten oder innerhalb von 24 Wochen ein Durchschnitt von acht Stunden täglich nicht überschritten wird. Hinzu kommt, dass nach der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vorgegeben wird, dass die wöchentliche Höchstarbeitszeit durch innerstaatliche Rechtsvorschriften so festgelegt werden muss, dass die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet. Wenn - wie hier - vom Unterhaltsverpflichteten 46,5 Wochenarbeitsstunden (200 : 4,3) abverlangt werden, so liegt er damit gerade noch im Grenzbereich des Zumutbaren.
Selbst wenn man den vom Beklagten tatsächlich erzielten Bruttostundenlohn von 9,20 Euro zugrunde legt, bleibt ein Mangelfall. Ausgehend von diesem Stundenlohn errechnet sich ein jährlicher Bruttoverdienst von 22.080 Euro (200 × 12 × 9,20 Euro), so dass bei einem anrechenbaren Kinderfreibetrag in der Lohnsteuerklasse 1 ein Nettoverdienst von monatlich 1.229 Euro verbleibt (vgl. Anlage). Selbst wenn man auch nur eingeschränkt (20 Euro) berufsbedingte Aufwendungen monatlich zubilligt, verbleibt ein Kinde...