Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschwerde. Berufung. Berufungshauptverhandlung. Fortsetzungstermin. Verteidigung. Vertretung. Berufungsverwerfung. Verwerfungsurteil. Wiedereinsetzung. Wiedereinsetzungsantrag. Abwesenheit. Ausbleiben. Bekanntgabe. Glaubhaftmachung. Ladung. Ladungsvollmacht. Ladungsfrist. Säumnis. Verhandlungsvollmacht. Verschulden. Vollmacht
Leitsatz (amtlich)
Erachtet es das Berufungsgericht nach § 329 Abs. 4 Satz 1 StPO für erforderlich, die Berufungshauptverhandlung in Anwesenheit des ausgebliebenen, jedoch durch einen Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vertretenen Angeklagten in einem weiteren Termin fortzuführen, kann es bei Ausbleiben des Angeklagten im Fortsetzungstermin und weiterer Anwesenheit des vorgenannten Verteidigers die Berufung des Angeklagten nur dann nach § 329 Abs. 4 Satz 2 StPO verwerfen, wenn die Ladungsfrist des Angeklagten von einer Woche (§ 217 Abs. 1 StPO) zum Fortsetzungstermin gewahrt wurde.
Normenkette
StPO §§ 35, 44, 46 Abs. 3, § 145a Abs. 2 S. 1, §§ 216-217, 229, 329 Abs. 2 S. 1, Abs. 4 Sätze 1-3, Abs. 7 S. 1
Tenor
I.
Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluss der Jugendkammer des Landgerichts vom 26.08.2021 aufgehoben.
II.
Dem Angeklagten wird Wiedereinsetzung in den Stand vor Versäumung der Berufungshauptverhandlung vom 10.08.2021 auf seine Kosten gewährt.
III.
Damit ist das Verwerfungsurteil des Landgerichts vom 10.08.2021 in Verbindung mit dem Berichtigungsbeschluss vom 11.08.2021 gegenstandslos.
IV.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
Das Amtsgericht - Jugendrichter - verurteilte den Angeklagten am 04.01.2021 wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit drei tateinheitlichen Fällen der Beleidigung in Tatmehrheit mit zwei tateinheitlichen Fällen der Beleidigung zu einem Dauerarrest von einer Woche. Gegen dieses Urteil legte der Angeklagte Berufung ein. Mit Verfügung vom 26.05.2021 hat das Landgericht - Jugendkammer - Termin zur Hauptverhandlung auf den 17.06.2021 bestimmt. Im Hauptverhandlungstermin vom 17.06.2021 wurde die Verhandlung ausgesetzt und neuer Hauptverhandlungstermin bestimmt auf den 09.08.2021 um 09:00 Uhr. [...] Zur Berufungshauptverhandlung am 09.08.2021 um 09:00 Uhr war der Angeklagte nicht erschienen, jedoch durch seine Verteidigerin mit nachgewiesener und gesonderter Vertretungsvollmacht vertreten. Der Vorsitzende der Berufungskammer unterbrach die Hauptverhandlung zur Entscheidung über einen Befangenheitsantrag und verfügte sodann um 15:00 Uhr, dass die Hauptverhandlung unterbrochen wird, bestimmte Termin zur Fortsetzung der Berufungsverhandlung auf 10.08.2021, 08:30 Uhr, und ordnete das persönliche Erscheinen des Angeklagten zum Fortsetzungstermin an. Zu diesem Termin wurden der Angeklagte über seine Verteidigerin per Telefax am 09.08.2021 um 16:52 Uhr geladen. Zum Fortsetzungstermin am 10.08.2021 um 08:38 Uhr war der Angeklagte nicht erschienen, jedoch wiederum durch seine vorgenannte Verteidigerin vertreten. Nach Verwerfung eines weiteren Ablehnungsantrags verkündete der Vorsitzende sodann bezüglich des Angeklagten ein Verwerfungsurteil gemäß § 329 Abs. 4 Satz 2 StPO, da dieser zum Fortsetzungstermin vom 10.08.2021 nicht erschienen war. Dieses Urteil vom 10.08.2021 wurde der Wahlverteidigerin des Angeklagten am 17.08.2021 zugestellt.
Der Angeklagte beantragte mit dem am 16.08.2021 bei den Justizbehörden eingegangenen Schriftsatz seiner Wahlverteidigerin vom selben Tag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und trug vor, dass er keine Kenntnis des Fortsetzungstermins vom 10.08.2021 hatte und zu diesem Termin nicht ordnungsgemäß geladen worden sei. Er habe sich bis 11.08.2021 im Urlaub befunden und sei seitens seiner Verteidigerin bzw. deren Kanzlei nicht über den Fortsetzungstermin vom 10.08.2021 informiert worden. [...]
Der Vorsitzende der Jugendkammer des Landgerichts hat mit Beschluss vom 26.08.2021 den Wiedereinsetzungsantrag des Angeklagten als unzulässig verworfen. Auf die Gründe des genannten Beschlusses wird verwiesen. Gegen diesen seiner Verteidigerin am 27.08.2021 zugestellten Beschluss hat der Angeklagte mit Schriftsatz seiner Verteidigerin vom 27.08.2021, bei den Justizbehörden eingegangen am selben Tag, sofortige Beschwerde eingelegt. [...]
II.
Die sofortige Beschwerde des Angeklagten ist statthaft (§§ 329 Abs. 7 Satz 1, 46 Abs. 3 StPO) und zulässig, da form- und fristgerecht eingelegt (§§ 306 Abs. 1, 311 Abs. 2 StPO), und hat in der Sache auch Erfolg.
Die sofortige Beschwerde erweist sich als begründet. Dem Angeklagten ist unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung Wiedereinsetzung in die Hauptverhandlung zu bewilligen, da er zu dem Hauptverhandlungstermin vom 10.08.2021 nicht ordnungsgemäß geladen wurde und deshalb bereits kein Fall der Säumnis vorlag.
1. Der Angeklagte ist vorliegend per Fax am 09.08.2021 um 16:52 Uhr über seine auch für die Entgegennahme von Ladungen (§ 145a Abs. ...