Entscheidungsstichwort (Thema)
Nebenklageanschluss des minderjährigen Kindes im Strafverfahren gegen einen sorgeberechtigten Elternteil bei gemeinsamer elterlicher Sorge
Leitsatz (amtlich)
1. Der wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Kindes angeklagte sorgeberechtigte Elternteil ist nicht gemäß § 1795 Abs. 2 BGB i.V.m. § 181 BGB von Gesetzes wegen hinsichtlich der Entscheidung über den Anschluss als Nebenkläger für das Kind ausgeschlossen.
2. Eine entsprechende Anwendung des § 1795 Abs. 2 i.V.m. § 181 BGB ist nicht erforderlich, weil nach § 1796 BGB die diesbezügliche Entziehung der Vertretungsmacht geregelt ist.
3. Der angeklagte Elternteil hat ein Interesse daran, dass ein Nebenklageanschluss seitens des Kindes nicht erfolgt. Dem Kind sollen keine strafprozessualen Verfahrensrechte als Nebenkläger in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren zustehen. Damit stehen sich die Interessen des angeklagten Elternteils und des Kindes von vornherein diametral entgegen, so dass die Voraussetzungen des § 1796 Abs. 2 BGB insoweit gegeben sind.
4. Das Interesse des Kindes dürfte für die Gestaltung des zukünftigen Lebens und der Beziehung zum angeklagten Elternteil dahin gehen, den Tatvorwurf aufzuklären. Damit ergibt sich kein erheblicher Gegensatz der Interessen des den Nebenklageanschluss befürwortenden Elternteils zu denen des Kindes.
5. Gemäß § 1680 Abs. 1, 3 BGB steht in diesen Fällen bei gemeinsamer elterlicher Sorge die Entscheidungsbefugnis über einen Anschluss des Kindes als Nebenkläger von Gesetzes wegen dem den Nebenklageanschluss befürwortenden Elternteil allein zu, weshalb es der Übertragung der elterlichen Sorge hierfür zur alleinigen Ausübung auf diesen nicht bedarf.
Normenkette
BGB § 1629 Abs. 2 Sätze 1, 3, §§ 1795-1796
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Kindsmutter werden die Beschlüsse des Amtsgerichts - Familiengericht - X. vom 28.01.2020 und 11.11.2019 (3 F 1509/19) unter Aufhebung der angeordneten Ergänzungspflegschaft wie folgt abgeändert:
Dem Kindsvater wird die elterliche Sorge für das Kind K. insoweit entzogen, als eine Entscheidung des Kindes über den Anschluss als Nebenkläger in dem Strafverfahren gegen den Kindsvater beim Amtsgericht X. (302 Ds 102 Js 3042/19) zu treffen ist.
2. Im Übrigen wird die Beschwerde der Kindsmutter unter Abweisung ihres Antrages auf Übertragung des Rechts zur Vertretung des Kindes K. bei der Entscheidung über den Anschluss als Nebenkläger in dem Strafverfahren 302 Ds 102 Js 3042/19 zurückgewiesen.
3. Von Erhebung von Gerichtskosten für das Verfahren in beiden Instanzen wird abgesehen. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen werden nicht erstattet.
4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.000,00 Euro festgesetzt.
5. Die Rechtsbeschwerde findet nicht statt.
Gründe
I. Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Vertretungsbefugnis der Kindsmutter für die Entscheidung des Kindes K., ob es sich dem gegen seinen Vater geführten Strafverfahren als Nebenkläger anschließt.
Der Pflegling K. ist das gemeinsame Kind der Beteiligten M. und V., denen die elterliche Sorge für das Kind ursprünglich vollumfänglich gemeinsam zustand.
Bezüglich der elterlichen Sorge für das Kind K. hatte das OLG Frankfurt mit Beschluss vom 25.01.2018 (1 UF 194/17) das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge und das Recht zur Beantragung öffentlicher Hilfen dem Kindsvater zur alleinigen Ausübung zugewiesen. Hinsichtlich der beiden letztgenannten Aufgabenkreise hat der Kindsvater zwischenzeitlich dem Stadtjugendamt Vollmacht zum alleinigen Tätigwerden erteilt. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht wurde mit Beschluss vom 01.03.2019 im Verfahren 3 F 306/19 (Amtsgericht X.) im Wege der einstweiligen Anordnung dem insoweit bis dahin allein sorgeberechtigten Kindsvater entzogen und Ergänzungspflegschaft angeordnet. Ergänzungspfleger ist das Stadtjugendamt X..
Die elterliche Sorge liegt ansonsten in der gemeinsamen Ausübung beider Eltern.
Die Staatsanwaltschaft X. führt zwischenzeitlich ein Ermittlungsverfahren gegen den Kindsvater wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Kindes K. Die Staatsanwaltschaft hat insoweit Anklage zum Amtsgericht X. erhoben (302 Ds 102Js 3042/19). Die Eröffnung des Hauptverfahrens steht noch aus.
Auf Antrag der Staatsanwaltschaft X. vom 07.11.2019 hat das Amtsgericht - Familiengericht - X. mit Beschluss vom 11.11.2019 im Wege der einstweiligen Anordnung ohne mündliche Verhandlung für das Kind K. für den Aufgabenbereich "Entscheidung des Kindes über den Anschluss als Nebenkläger gemäß § 395 ZPO" Ergänzungspflegschaft angeordnet und das Stadtjugendamt X. auch insoweit zum Ergänzungspfleger bestellt. Hiergegen hat die Kindsmutter mündliche Verhandlung beantragt, die am 27.01.2020 mit Anhörung der beiden Kindseltern, des Ergänzungspflegers und des Jugendamts als Fachbehörde stattfand.
Mit Beschluss vom 28.01.2020 hat das Amtsgericht den Beschluss vom 11.11.2019 aufrechterhalten und hierzu im Wesentlichen ausgef...