Leitsatz (amtlich)
1. Sieht der Tatrichter von einem Regelfahrverbot wegen einer innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung mit der Begründung ab, dass die Messstelle entgegen der einschlägigen landespolizeilichen Verkehrsüberwachungsrichtlinien in einem zu geringen Abstand vor der das Ende der innerörtlichen Höchstgeschwindigkeit markierenden Ortstafel (Zeichen 311) eingerichtet wurde, sind weitere Feststellungen dazu unabdingbar, ob die Messstelle bzw. die Überwachungsstrecke nicht aufgrund der örtlichen Gegebenheiten z.B. als Unfallbrennpunkt bzw. Unfallgefahrenpunkt oder aufgrund sonstiger besonderer Verkehrsverhältnisse oder anderer gefahrerhöhender Umstände sachlich gerechtfertigt und damit ermessensfehlerfrei ausgewählt wurde (u.a. Anschluss an OLG Bamberg DAR 2006, 464 f., OLG Stuttgart DAR 2011, 220, OLG Dresden DAR 2010, 29 f.; BayObLG NZV 1995, 496 f. = DAR 1995, 495 f. und BayObLG NZV 2002, 576 f. = zfs 2003, 42).
2. Macht der Betroffene geltend, aufgrund einer Probefahrt mit einem ihm unbekannten und ungewohnten Fahrzeug eine innerörtliche Beschränkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit übersehen zu haben, scheidet eine Ausnahme von einem an sich verwirkten Regelfahrverbot aufgrund besonderer Tatumstände, insbesondere die Anerkennung eines privilegierendes sog. Augenblicksversagens, regelmäßig aus (Anschluss an OLG Frankfurt DAR 2002, 82 f.).
Normenkette
StVG §§ 24, 25 I 1, § 25 Abs. 2a; StVO § 4 Abs. 1 S. 1; BKatV § 4 Abs. 1 S. 1 Nr. 1; StPO § 267 Abs. 3; OWiG § 71 Abs. 1
Tatbestand
Zum Sachverhalt:
Das AG hat den bislang straßenverkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Betr., einen nach den Urteilsfeststellungen seit mehr als 20 Jahren im Außendienst mit Kundenbetreuungen landesweit tätigen Vertreter, wegen einer am 09.11.2011 als Führer eines Pkw anlässlich einer Probefahrt fahrlässig begangenen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 39 km/h zu einer Geldbuße von 320 € verurteilt. Von dem im Bußgeldbescheid neben einer dort vorgesehenen Regelgeldbuße von 160 € angeordneten Fahrverbot von einem Monat nach Maßgabe des § 25 IIa StVG hat das AG demgegenüber abgesehen. Mit ihrer ausweislich der Rechtsmittelanträge und ihrer Begründung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Rechtsbeschwerde rügt die StA die Verletzung materiellen Rechts. Sie beanstandet, dass das AG zu Unrecht von der Verhängung eines Fahrverbots abgesehen hat. Das Rechtsmittel führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung an das AG.
Entscheidungsgründe
I.
Die gemäß § 79 I 1 Nr. 3 OWiG statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte und begründete sowie wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde ist begründet. Wenn auch das AG nicht verkannt hat, dass wegen der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 39 km/h gemäß §§ 24, 25 I 1 1. Alt., 26 a StVG i.V.m. § 4 I 1 Nr. 1 BKatV i.V.m. Nr. 11.3.6 der Tab. 1c zum BKat die Anordnung eines Fahrverbots wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers in der Regel in Betracht kam, vermögen jedenfalls die bisherigen Feststellungen eine Ausnahme von dem verwirkten Regelfahrverbot auch angesichts der Verdoppelung der Regelgeldbuße nicht zu rechtfertigen.
1.
Zwar hat das AG zu Recht die vom Betr. geltend gemachten persönlichen, beruflichen und wirtschaftlichen Folgen eines Fahrverbots bedacht und in den Urteilsgründen thematisiert. Die Auseinandersetzung mit dieser Frage gebot schon das rechtsstaatliche Übermaßverbot. Es entspricht andererseits ständiger obergerichtlicher Rspr., dass Angaben eines Betr., es drohe bei Verhängung eines Fahrverbots der Existenzverlust, nicht ungeprüft übernommen werden dürfen. Vielmehr ist ein derartiger Vortrag vom Tatrichter kritisch zu hinterfragen, um das missbräuchliche Behaupten eines solchen Ausnahmefalles auszuschließen. Zugleich wird das Rechtsbeschwerdegericht nur so in die Lage versetzt, die Rechtsanwendung nachzuprüfen.
2.
Dies ist hier zumindest nicht mit der gebotenen Sorgfalt geschehen. Insbesondere vermag der Senat anhand der Urteilsgründe schon im Ansatz nicht zu übersehen, ob die durchgängig unbestimmten Feststellungen und Wertungen des AG zur konkreten Ausgestaltung der beruflichen Tätigkeit des Betr. einschließlich der Frage der Möglichkeiten der Urlaubsgewährung und weiterer Kompensationsmöglichkeiten auf einer hinreichenden Grundlage beruhen. Feststellungen zur konkreten Einkommens- und Vermögenslage des Betr. fehlen vollständig, so dass beispielsweise offen bleibt, ob und ggf. warum der Betr. unter Berücksichtigung seiner finanziellen Gesamtsituation gerade aufgrund des Fahrverbots etwa den Verlust seines Arbeitsplatzes oder aber die Gefährdung eines existenzgewährleistenden Einkommens zu vergegenwärtigen hätte. Vielmehr erscheint eine konkret existenzbedrohende Wirkung eines (lediglich) einmonatigen Fahrverbots eher fernliegend. Wird wegen der...