Entscheidungsstichwort (Thema)
Rüge verweigerter und nicht protokollierter Beweisantragstellung
Leitsatz (amtlich)
Wird mit der Verfahrensrüge beanstandet, das Gericht habe in der Hauptverhandlung eine von der Verteidigung beabsichtigte Beweisantragstellung durch "Nichtzulassung" vereitelt und die Protokollierung des Antrags entgegen § 273 I 1 StPO verweigert, setzt eine hierauf gestützte Rüge der Verletzung des Beweisantragsrechts bzw. der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung, sofern das Protokoll über das behauptete Verfahrensgeschehen keine Auskunft gibt, nach § 344 II 2 StPO für ihre Zulässigkeit Darlegungen zum Wegfall der Beweiskraft des Protokolls voraus, aus denen sich entweder die offenkundige Fehlerhaftigkeit des Protokolls oder aber der Nachweis einer bewussten gerichtlichen Falschprotokollierung ergibt.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3; StVG § 25 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 a; BKatV § 4 Abs. 1; StPO § 226 Abs. 2 S. 1, § 273 Abs. 1 S. 1, §§ 274, 244, 344 Abs. 2 S. 2; OWiG § 71 Abs. 1, § 79 Abs. 3 S. 1
Tatbestand
Das AG verurteilte den Betr. am 08.10.2012 wegen einer fahrlässigen innerörtlichen Geschwindigkeitsüberschreitung um 35 km/h (Tatzeit: 21.06.2012) zu einer Geldbuße und verhängte gegen ihn ein Fahrverbot nach Maßgabe des § 25 Abs. 2a StVG. Seine Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, blieb erfolglos.
Entscheidungsgründe
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerde hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betr. ergeben (§ 349 II StPO i.V.m. § 79 III 1 OWiG). Zur Begründung wird auf die zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift der GenStA Bezug genommen, welche auch durch die Gegenerklärung der Verteidigung nicht entkräftet werden. Dem Senat erscheinen zwei ergänzende Bemerkungen veranlasst:
1. Soweit der Betr. in der Rechtsbeschwerdebegründungsschrift vorträgt, er habe "versucht", in der Hauptverhandlung einen Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Ordnungsgemäßheit der verfahrensgegenständlichen Geschwindigkeitsmessung zu stellen, das AG habe diesen Beweisantrag jedoch "kategorisch abgelehnt und noch nicht einmal zugelassen", und hierzu in der Gegenerklärung der Verteidigung vom 11.03.2013 ergänzend mitgeteilt wird, dass sich das Gericht geweigert habe, den Beweisantrag zu protokollieren, "da der Vorsitzende Richter gar nicht darauf eingegangen ist und den Antrag für nicht zulässig befunden hatte", entspricht die erhobene Verfahrensrüge der fehlerhaften Behandlung eines Beweisantrages bzw. der unzulässigen Beschränkung der Verteidigung nicht den Anforderungen von § 344 II 2 StPO i.V.m. § 79 III 1 OWiG an eine zulässige Verfahrensrüge.
a) Die Stellung eines Beweisantrages sowie der Beschluss über die Ablehnung eines Beweisantrages gehören auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren gemäß § 273 I 1 StPO i.V.m. § 71 I OWiG zu den wesentlichen Förmlichkeiten einer Hauptverhandlung (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 30.07.2008 - 3 Ss OWi 860/08); dasselbe gilt für die Stellung eines Beweisermittlungsantrages (Graf/Peglau StPO 2. Aufl. § 273 Rn. 20). Die Beobachtung dieser Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Aus dem von dem Vorsitzenden unter zulässigem Verzicht auf die Hinzuziehung eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (§§ 226 II 1 StPO, 71 I OWiG) gefertigten und unterzeichneten Protokoll der Hauptverhandlung vom 08.10.2012 ergibt sich indes weder, dass der Verteidiger einen Beweisantrag gestellt hat, noch dass ein solcher durch das Gericht abgelehnt wurde. Gemäß § 274 S. 1 StPO i.V.m. § 71 I OWiG gilt damit als nicht geschehen, was im Protokoll nicht beurkundet ist (vgl. Meyer-Goßner StPO 55. Aufl. § 274 Rn. 14 m.w.N.; Göhler/Seitz OWiG 16. Aufl. § 71 Rn. 55). Nur wenn die Beweiskraft des Protokolls in Wegfall geraten ist, kann der Bf. im Freibeweisverfahren den Nachweis führen, dass ein bestimmter Vorgang - entgegen dem Protokoll der Hauptverhandlung - geschehen oder nicht geschehen ist (vgl. Meyer-Goßner § 274 Rn. 18). Dies ist aber nur dann der Fall, wenn das Protokoll selbst erkennbare Fehler wie offensichtliche Lücken, Unklarheiten oder Widersprüche aufweist (Meyer-Goßner § 274 Rn. 17) oder der Nachweis der Fälschung geführt wird. Eine solche liegt u.a. dann vor, wenn dem Protokoll, sei es durch eine Niederschrift oder durch eine Weglassung, bewusst ein unwahrer Inhalt gegeben wurde (vgl. OLG Düsseldorf StV 1984, 108; Meyer-Goßner § 274 Rn. 19; LR-Stuckenberg StPO 26. Aufl. § 274 Rn. 35), fahrlässige Falschprotokollierung hingegen reicht nicht aus (OLG Düsseldorf NJW 1997, 1718). Hier kann lediglich im Wege eines Antrags auf Protokollberichtigung versucht werden, eine Richtigstellung im Protokoll zu erreichen (LR-Stuckenberg § 274 Rn. 35).
b) Vorliegend ist das Protokoll jedenfalls nicht offenkundig fehlerhaft. Es kann aber auch dahingestellt bleiben, ob die Verteidigung tatsächlich in den Raum stellen will, der erkennende Richter habe es bewusst wahrheitswidrig und damit in st...