Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Anspruch auf Schadensersatz bei im Juni 2016 erworbenem, vom Abgasskandal betroffenem (Gebraucht-)Fahrzeug
Leitsatz (amtlich)
1. Vgl. zum Kauf nach Bekanntwerden des Dieselskandals: BGH BeckRS 2020, 19146; OLG München BeckRS 2020, 28520; BeckRS 2020, 30918; BeckRS 2020, 25694; OLG Frankfurt BeckRS 2020, 18189; BeckRS 2019, 43569; OLG Bamberg BeckRS 2020, 29275; BeckRS 2020, 29353; sowie mit zahlreichen weiteren Nachweisen OLG München BeckRS 2020, 27980 (dort Ls. 1); OLG Stuttgart BeckRS 2020, 7457 (dort Ls. 4); noch weitergehend: OLG Braunschweig BeckRS 2020, 28511; wie hier a.A. noch: OLG Köln BeckRS 2020, 7312; OLG Hamm BeckRS 2019, 20495; OLG Oldenburg BeckRS 2020, 280; BeckRS 2020, 6021; OLG Dresden BeckRS 2020, 4135; OLG Koblenz BeckRS 2020, 5086; BeckRS 2020, 17856; OLG Naumburg BeckRS 2020, 26059; differenzierend OLG Stuttgart BeckRS 2020, 5609 (Kenntnis erst ab März 2016).
2. Erwirbt der Käufer das Fahrzeug erst Ende Juni 2016 und damit mehr als neun Monate nach Bekanntwerden des sog. "Dieselskandals", scheitert eine deliktische Einstandspflicht der Herstellerin wegen sittenwidriger Täuschung von vornherein am fehlenden Zurechnungszusammenhang zwischen einem etwaigen Sittenverstoß und dem Schadenseintritt. (Rn. 19)
3. Bei Käufen ab Mitte Oktober 2015 ist der notwendige Rechtswidrigkeitszusammenhang nicht mehr gegeben, weil er bereits mit dem Bekanntwerden des Abgasskandals nachträglich entfallen war. (Rn. 27)
4. Für das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit ist nur das Verhalten und die Einstellung der Herstellerin maßgebend, so dass es nicht mehr auf die Frage ankommt, ob und in welchem Umfang der Käufer bei Vertragsschluss Kenntnis von dem sog. Dieselskandal und dessen möglichen Auswirkungen auf sein Fahrzeug gehabt hatte. (Rn. 43)
Normenkette
BGB § 823 Abs. 2, § 826; EG-FGV §§ 4, 6, 27; StGB § 263 Abs. 1; ZPO § 138 Abs. 4, §§ 291, 522 Abs. 2, § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Aschaffenburg (Urteil vom 29.11.2019; Aktenzeichen 32 O 110/19) |
Nachgehend
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 29.11.2019, Az. 32 O 110/19, durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Der Kläger erhält Gelegenheit, hierzu bis zum 19.06.2020 Stellung zu nehmen.
Gründe
I. 1. Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Ergänzend bzw. erläuternd ist auszuführen:
Der Kläger nimmt die Beklagte nach Deliktsgrundsätzen auf Schadensersatz und Feststellung im Zusammenhang mit dem Kauf eines Fahrzeugs in Anspruch.
Der Kläger erwarb am 29.06.2016 bei der Fa. A. GmbH in ... einen gebrauchten ... mit einem Kilometerstand von 20.647 km zum Kaufpreis von 25.569,00 EUR brutto. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA 189 ausgestattet und mit einer Software ausgerüstet, die den Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand gegenüber dem normalen Fahrbetrieb reduziert. Ein Softwareupdate wurde durchgeführt. Am 27.02.2020 betrug der Kilometerstand 74.854 km.
Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, dass er bei Kenntnis von der gesetzwidrigen Software beim Kauf das Fahrzeug nicht erworben hätte. Die Beklagte hafte wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung, aus § 831 BGB und aus § 823 Abs. 2 iV.m. § 27 EG-FGV und sei zum Schadensersatz verpflichtet. Ein Nutzungsvorteil sei nicht anzurechnen.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu bezahlen für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei das Fahrzeug ... 2.0 TDI (Fahrzeugidentifikationsnummer: ...) dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr.
Hilfsweise:
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei in den Motor, Typ EA 189, des Fahrzeugs ... 2.0 TDI, FIN: ... eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfsituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (Nox) entstehen und Stickoxidemissionswerte reduziert werden, und die im Normalbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, so dass es zu einem höheren Nox-Ausstoß führt.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.077,74 EUR freizustellen.
Hilfsanträge:
1. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, an die Klagepartei 25.569,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 4%-Punkten seit dem 25.06.2016 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgab...